Die wandernden Kasinos – Jakob Lindau und die katholische Opposition

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5. Februar 1865 | Hier kann das Landesglücksspielgesetz (LGlüG) nicht weiterhelfen. Den Begriff „Wandernde Kasinos“ kennt es nicht. Und dies liegt nicht nur an der Schreibweise. Kein Wunder, denn die ursprüngliche Idee dazu stammt aus dem 19. Jahrhundert. Auf dem Katholikentag in Aachen 1862 wurden die Gläubigen dazu aufgerufen, „Kasinos“ zu gründen. Nein, die Kirche wollte sie nicht zum Glücksspiel verleiten. Casinogesellschaften galten seit der Französischen Revolution als Orte, an denen Männer des Bürgertums Freizeitvergnügen und politische Diskussion gepflegt miteinander verbinden konnten. Und genau dies sollten die neuen „Kasinos“ nun speziell auch für ein katholisches Publikum leisten – und damit ein politisches Zeichen setzen.

Politik ist kein Glückspiel, das wusste auch Jakob Lindau.
Politik ist kein Glückspiel, das wusste auch Jakob Lindau (Bildnachweis: HDGBW/Hemberger)

Der am 10. Mai 1833 in Heidelberg geborene Kaufmann Jakob Lindau war einer der Männer, die diese Idee aufgriffen. In seiner Heimatstadt gründete er im Herbst 1862 ein Kasino, das jeweils mittwochs im „Pariser Hof“ stattfand. Lindaus Initiative erzielte den gewollten Effekt: Seine Gesellschaft wurde zum Kern einer katholischen Gruppierung in Heidelberg, die sich im eklatanten Widerspruch zum vorherrschenden protestantisch-liberal geprägten Zeitgeist verstand. Das von der liberalen badischen Regierung in Karlsruhe durchgesetzte Schulgesetz vom 29. Juli 1864 führte zum endgültigen Konflikt: Die Katholische Kirche fürchtete um ihren Einfluss auf die Schulen und lief unter Berufung auf die Freiheit des Gewissens Sturm gegen die geplante staatliche Kontrolle.

In Lindaus Kasino entstand der Plan, sich künftig nicht nur in Heidelberg zu treffen und auszutauschen. „Wandernde Kasinos“ waren die Antwort! In aller Öffentlichkeit sollte sich die katholische Bevölkerung bei (je nach Region) Bier oder Wein nicht nur über ihre Themen besprechen, sondern letztlich für die katholische Sache politisch mobilisiert werden. Das erste auswärtige Kasino fand am 5. Februar 1865 in Mosbach statt. In der Morlockschen Bierbrauerei strömten die Menschen zusammen und hörten mit Begeisterung dem großartigen Redner Lindau zu. Am nächsten Tag kamen bereits bis zu 2.000 Menschen in Tauberbischofsheim zusammen. In den nächsten Tagen folgten im ganzen Großherzogtum fast täglich neue Kasinos, meist mit Lindau als gefeiertem Redner.

Die Liberalen begannen nervös zu werden. In Radolfzell und andernorts versuchten sie das Kasino zu stören. Geradezu dramatisch verlief das Mannheimer Kasino am 23. Februar. Nachdem die Veranstaltung verboten worden war, überfielen Gegendemonstranten einen von Lindau angeführten Zug von rund 3.000 Teilnehmern. Trotz mehrerer Verletzter griff die Polizei nicht ein. Der „Mannheimer Kasinosturm“ sorgte in ganz Deutschland für Schlagzeilen. Lindau war endgültig bekannt geworden, und die Gründung einer katholisch-konservativen Oppositionspartei nahm Formen an.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Michael Kitzing: Für den christlichen und sozialen Volksstaat. Die Badische Zentrumspartei in der Weimarer Republik (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 163.). Düsseldorf 2013.
  • LEO-BW: Jakob Lindau.

/// Was passiert, wenn Gabi, Ahmet, Piet, Lea und Werner die Arbeit niederlegen, lesen Sie morgen in unserem Onlinekalender.

Die erste Polizistin – Henriette Arendt und ihre Rettungsarbeit

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1. Februar 1903 | „Meine Anstellung am Stadtpolizeiamt Stuttgart als erste Polizeiassistentin in Deutschland erfolgte am 1. Februar 1903.“ So beginnt Henriette Arendt ihre ersten als Buch veröffentlichten Erinnerungen an ihre Polizeitätigkeit in Stuttgart. Vermutlich hat der Satz einen kleinen Schönheitsfehler: Die Historikerin Henrike Sappok-Laue hat herausgefunden, dass Arendt ihren Dienst erst am 20. Februar aufnahm, nachdem sie ihr seitheriger Arbeitgeber, der Stuttgarter Hilfspflegerinnen-Verband, dem Polizeiamt empfohlen hatte. Das ändert jedoch nichts daran, dass Arendt eine außergewöhnliche Pionierin in der Polizei- und Sozialarbeit ist.

Des Volkes Stimme | Die erste Polizistin - Henriette Arendt

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Henriette Arendt wurde am 11. November 1874 in Königsberg geboren. Als Krankenschwester hatte sie bereits an verschiedenen Orten gearbeitet, bevor sie nach Stuttgart kam. Die erstmalige Anstellung einer Frau in den Polizeidienst war keine launige PR-Aktion, sondern eine seit langem von der Frauenbewegung erhobene Forderung. Die Polizei war völlig überfordert im Umgang mit weiblichen Beschuldigten, immer wieder kam es zu Misshandlungen und Übergriffen. Besonders eklatante Probleme gab es bei der Behandlung von Prostituierten oder Frauen, die in Verdacht standen, der Prostitution nachzugehen. Prostitution war zwar grundsätzlich verboten, wurde aber, solange sie unter polizeilicher Aufsicht erfolgte und damit die Gesundheitsvorschriften eingehalten werden konnten, toleriert. Während Frauen, die sich dieser polizeilichen Kontrolle entzogen, mit Haftstrafen bedroht wurden, blieben die männlichen Freier dank der vorherrschenden Doppelmoral straffrei.

Arendts Aufgabe bestand darin, vor allem diesen Frauen bei Untersuchungen und Verhören beizustehen. In den ersten drei Jahren ihrer „Rettungsarbeit“ befanden sich 4.266 Inhaftierte in ihrer Fürsorge. Einen Teil davon begleitete sie wieder zurück in ihre Heimat, rund ein Fünftel konnte sie überzeugen, sich in Obhut zu begeben, von den restlichen Frauen gingen die meisten ins Gefängnis. Arendt beschrieb in ihrem Buch eindringlich welche Not die Frauen in die Prostitution getrieben hatte. Zu den besonders Betroffenen zählten verstoßene Dienstmädchen, die sich auf der Straße fanden. Oder Frauen, die allein schon aufgrund ihrer Herkunft nie eine Chance auf Bildung oder annehmbare Arbeit hatten. Ihnen allen versuchte Arendt eine neue Perspektive zu geben.

Leider eckte die streitbare Arendt aber zunehmend auch bei der Leitung der Polizei an. Nach langen Auseinandersetzungen kündigte sie am 20. November 1908. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs setzte sie sich mit Vorträgen und Büchern für Frauenrechte und besonders die Bekämpfung des skandalösen Mädchenhandels ein.

Immerhin machte das Stuttgarter Beispiel auch andernorts Schule. Der Regierungspräsident von Hannover las über Arendt und beschloss mit seinem Polizeipräsidenten, ebenfalls eine solche Stelle zu schaffen. So bekam Hannover 1904 die zweite Polizeiassistentin Deutschlands.

PS: Arendt und Königsberg? Da war doch noch jemand, oder? Ja, es stimmt: Die Philosophin Hannah Arendt war die Nichte von Henriette Arendt.

Besonderen Dank an Dr. Dirk Götting, Leiter Polizeimuseum, Polizeiakademie Niedersachsen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Henriette Arendt: Menschen, die den Pfad verloren … . Erlebnisse aus meiner fünfjährigen Tätigkeit als Polizei-Assistentin in Stuttgart, Stuttgart o.J.
  • Henrike Sappok-Laue: Henriette Arendt – Krankenschwester, Frauenrechtlerin, Sozialreformerin, Frankfurt am Main 2015.

/// Das nächste Kalenderblatt blättern wir am 5. Februar auf: In Nordbaden rollt die politische Kugel.

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