29. Oktober 1908 | Die besten Überraschungen kommen immer am Ende. Die LeserInnen des Mannheimer General-Anzeigers vom 26. September 1908 staunten nicht schlecht, als sie die letzten Zeilen der Ankündigung der öffentlichen Vorlesungen im Wintersemester an der Mannheimer Handelshochschule lasen: „Und die erste von einer weiblichen Dozentin in einer deutschen Hochschule abgehaltene Vorlesung der Frau Altmann-Gottheiner über die Arbeiterinnenfrage, donnerstags.“
Am 29. Oktober 1908 war es um 19 Uhr soweit. Im Auditorium der Handelshochschule trat eine Frau an das Katheder, um ihre Vorlesung zu halten. Nicht weniger als 61 Jahre nachdem Louise Dittmar ebenfalls in Mannheim im ersten öffentlichen Vortrag einer Frau über die Gleichberechtigung gesprochen hatte, vollzog Dr. Elisabeth Altmann-Gottheiner einen weiteren großen Schritt in Richtung Emanzipation der Geschlechter. Das Thema ihrer Lesung sprach für sich.
Elisabeth Gottheiner war am 26. März 1874 in Berlin geboren worden. Da in Deutschland die Beschränkungen für Frauen allgegenwärtig waren, ging sie zum Studium der National-Ökonomie nach London und Zürich, wo sie 1902 promovierte. In Frankfurt am Main setzte sie sich aktiv für die Frauenbewegung ein, bevor ihr Ehemann Sally Altmann einen Lehrauftrag in Mannheim erhielt. Sie selbst wurde als „Lehrkraft für einzelne Vorlesungen“ angestellt. Ihren wissenschaftlichen Schwerpunkt setzte sie fortan bei Themen der Frauen- und Sozialpolitik. Auch nach dem Krieg blieb sie in Mannheim und etablierte sich endgültig an der Hochschule. Am 30. April 1925 wurde sie zur Professorin ernannt. Nur fünf Jahre später verstarb sie.
Zum Weiterlesen und -forschen:
- Isabel Funke: Frauenbildung im Kaiserreich. Elisabeth Altmann-Gottheiner im Kontext ihrer Zeit, Bachelorarbeit an der Universität Mannheim, 2014.
- Rosmarie Günther: Eine vorbildliche Netzwerkerin – Elisabeth Altmann-Gottheiner (1874-1930), in: Mannheimer Geschichtsblätter remmagazin 20/2010, S. 21-34.
- LEO-BW: Lebenslauf von Elisabeth Altmann-Gottheiner.
/// Am 31. Oktober wird es laut. Doch keine Angst: Bürgerinnen und Bürger wehrten sich!
Bei dieser Geschichte muss man unwillkürlich an Margarete „Daisy“ von Wrangell denken. Am 7.1.1877 in Moskau geboren, in Stuttgart am 21.3. 1932 gestorben und hat damit fast zeitgleich mit Elisabeth Altmann-Gottheiner gelebt.
Margarete von Wrangell will als junge Frau Naturwissenschaften studieren, damals für Frauen ungewöhnlich und fast unmöglich.1904 beginnt sie ihr Studium in Tübingen, ihre Doktorarbeit 1909 in Chemie wird mit „summa cum laude“ beurteilt. Weitere Stationen der Wissenschaftlerin sind 1909 Dorpat, 1910 London, 1911 Straßburg, 1912 Paris bei Marie Curie, 1912 Reval. Während der russischen Oktoberrevolution wird sie verhaftet und flieht 1918 nach Deutschland. In Hohenheim verfasst sie die erste Habilitation in der Geschichte der Hochschule. Gegen den Widerstand zahlreicher Hohenheimer Professoren wird sie am 1.1.1923 zur ersten ordentlichen Professorin Deutschlands ernannt und leitet das neue Institut für Pflanzenernährung bis zu ihrem Tod.
Ihr wissenschaftlicher Leitspruch:
„Ich lebte mit den Pflanzen
Ich legte das Ohr an den Boden
Und es schien mir, als seien die
Pflanzen froh, etwas über die
Geheimnisse des Wachstums erzählen zu können.“
steht auf einem Gedenkstein vor dem Institutsgebäude.
In diesem Jahr feiert die Universität ihr 200-jähriges Bestehen und nennt ihre herausragenden Wissenschaftler: unter den 18 Persönlichkeiten ist Margarete von Wrangell die einzige Frau. Damit sich diese bescheidene Frauenquote ändert, schreibt das Land Baden-Württemberg seit 20 Jahren das Margarete von Wrangell- Habilitationsprogramm für Frauen aus.