EinwanderInnen ins Rathaus! – Nei’geschmeckte von weit her übernehmen politische Verantwortung

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15. Januar 1989 | Gerne bezeichneten sie sich als „Exoten“, die mitten in und mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft lebten, arbeiteten, liebten, lachten, stritten und sich vertrugen. Sie kamen aus Italien, Spanien, Jugoslawien, Griechenland, der Türkei, aus dem Iran; sie suchten Arbeit, Schutz vor politischer und religiöser Verfolgung, ein Leben in Würde und Freiheit. Traditionelle ArbeiterInnenviertel wie der Stuttgarter Osten wurden ab den 1960er Jahren zu einer zweiten Heimat für die EinwandererInnen. Dabei war es nicht immer leicht gewesen, wie die türkischstämmige Leyla Süngerli aus eigener Erfahrung zu berichten weiß: Ende der 1980er Jahre suchte sie mit ihrem Kind eine Sozialwohnung in Stuttgart und geriet an einen korrupten Beamten des Wohnungsamtes, der sich an der Wohnungsnot unter den EinwanderInnen systematisch bereicherte. Mutig deckte sie gemeinsam mit einem Redakteur der migrantischen „Stuttgarter Kanaken-Zeitung“ und weiteren HelferInnen diesen Missstand auf, der deutschlandweit Empörung auslöste. Nicht zuletzt diese Aktion bestärkte das Selbstbewusstsein der lokalen Migrantenszene und bildete die Grundlage für den nächsten Schritt, wie Shahla Blum anmerkte: EinwanderInnen sollten auch in der Kommunalpolitik endlich ernst genommen werden und in die Parlamente gewählt werden können.

 

Diesem Ziel verschrieb sich eine bunte Gruppe migrantischer und deutscher Aktivisten aus der Landeshauptstadt, die am 15. Januar 1989 als „Initiative EinwanderInnen ins Rathaus“ in das Licht der Öffentlichkeit trat. Rund 150 Menschen mit verschiedenen Pässen versammelten sich im „Theaterhaus“ diskutierten mit der Türkin Sevim Çelebi, der ersten Migrantin in einem deutschen Landesparlament (Westberlin). Am Ende der Veranstaltung stand eine Erklärung, die allgemein das Wahlrecht für alle in Deutschland lebende Menschen – unabhängig von Herkunft und Pass – einforderte, unter anderem für über 80.000 EinwanderInnen in Stuttgart.

Hinsichtlich der Kommunalwahlen im Herbst 1989 wollten die Aktiven konkret erreichen, dass EinwanderInnen mit deutschen Pass auf „wirklich sichere Listenplätze“ gesetzt werden, erinnert sich Harald Stingele, damals in der Wählerinitiative aktiv. Die Stuttgarter Grünen hatten beschlossen, auf die ersten 15 Plätzen ihrer Wahlliste zwei MigrantInnen mit deutschem Pass zu setzen – einige Mitglieder der Initiative „EinwanderInnen ins Rathaus“ kritisierten diese Entscheidung als „Alibi“ und zu unsicher. Letztendlich setzte die Basis der Grünen bei der endgültigen Aufstellung der Liste ein klares Signal: Initiativenmitglied Gordana Golubović wurde auf Platz 1  gewählt, Guillermo Apericio auf den zehnten und Shahla Blum auf den elften. Auch Leyla Süngerli wurde auf die Liste gesetzt.

Man wolle das „Sprachrohr der Migranten in Stuttgart“ werden, wie Shahla Blum das Ziel der Wählerinitiative zusammenfasste. Mit vielbeachteten Aktionen wie dem „Tag der deutschen Vielheit“, einem bunten Fest der Nationen im „Theaterhaus“ (Juni 1989), Umfragen unter den EinwanderInnen und Gesprächsrunden wirbelten die Mitglieder der Wahlinitiative den Wahlkampf auf und setzten gesellschaftliche Ausrufezeichen.

Der Ausgang der Kommunalwahl vom 22. Oktober 1989 – die Grünen errangen mit 12,4% der gültigen Stimmen sieben Sitze im Gemeinderat – ermöglichte Gordana Golubović und Shahla Blum die Möglichkeit, den Forderungen, Ideen und Projekten der migrantischen Bewegung in der Landeshauptstadt politisches Gewicht zu verleihen.

Nicht zuletzt der Arbeit solcher Gruppen wie der „Initiative EinwanderInnen ins Rathaus“ ist es zu verdanken, dass die kurdischstämmige Muhterem Aras heute Präsidentin des baden-württembergischen Landtags ist. Doch gibt es in Sachen Gleichberechtigung, Integration und Teilhabe von EinwanderInnen noch immer viel zu tun.


Zum Weiterlesen- und forschen:

  • Forum der Kulturen Stuttgart: Homepage.

 

„Gleiches Recht als Staatsbürger“ – Die Charta der Heimatvertriebenen

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5. August 1950 | Bad Cannstatt ist völlig zu Recht stolz auf seine umfangreichen Mineralquellen. Mit dem Großen und Kleinen Kursaal erinnert sich der Stuttgarter Stadtteil an die prächtigen Zeiten des Badeortes Cannstatt. Im angrenzenden Kurpark wird auch an ein anderes Ereignis der neueren Zeitgeschichte erinnert. Am 5. August 1950 unterzeichneten die Vertreter der Vertriebenen im Großen Kursaal die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“.

 

 

Wasser statt Wein – der Große Kursaal war der passende Ort für die Unterzeichnung, denn zum Feiern gab es fünf Jahre nach Kriegsende wenig Anlass. Mehrere Millionen Deutsche, die durch Vertreibung und Flucht ihre Heimat verloren hatten, versuchten mühsam an neuen Orten ihre Existenz wieder aufzubauen. Willkommen waren die wenigsten gewesen. Die Vorbehalte der eingesessenen Bevölkerung gegenüber den Neuankömmlingen waren massiv. Mit den Fremden wollten Viele nichts zu tun haben oder gar teilen. Bei den Vertriebenen entstand nicht von ungefähr oft der Eindruck, sie sollten alleine den Preis des verbrecherischen Krieges und der Niederlage zahlen.

Umso beachtlicher war die „Charta der Heimatvertriebenen“. Immer wieder ist in den letzten Jahren auf die Unzulänglichkeiten und Lücken des Textes hingewiesen worden. Heute müsste manches anders und deutlicher formuliert werden. Aber das ändert nichts an dem wegweisenden Charakter der Erklärung. Die klare Absage an „Rache und Vergeltung“ war einer der großen Schritte hin zu einem friedlichen Europa. Das „Recht auf Heimat“ wurde zwar als eines der „Grundrechte der Menschheit“ postuliert, aber es sollte gerade ausdrücklich nicht durch Gewalt verwirklicht werden. Wer sich ein wenig mit der europäischen Geschichte beschäftigt hat, wird die Bedeutung dieser Haltung leicht zu schätzen wissen.

Das unzweideutige Plädoyer „für die Schaffung eines geeinten Europas“ und die Forderung nach einer vollen Integration der Vertriebenen im eigenen Land, verleihen der Charta neben dem Gewaltverzicht bis heute Gewicht:

1. Gleiches Recht als Staatsbürger nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch in der Wirklichkeit des Alltags.

2. Gerechte und sinnvolle Verteilung der Lasten des letzten Krieges auf das ganze deutsche Volk und eine ehrliche Durchführung dieses Grundsatzes.

3. Sinnvollen Einbau aller Berufsgruppen der Heimatvertriebenen in das Leben des deutschen Volkes.

4. Tätige Einschaltung der deutschen Heimatvertriebenen in den Wiederaufbau Europas.

 

 

Die Versammlung blieb nicht auf den Kursaal beschränkt. Am nächsten Tag wurde die Charta in Stuttgart einem Publikum von rund 100.000 Menschen vorgetragen. Den Rahmen bildete die mahnende Ruine des Neuen Schlosses. Wer heute das Glück hat, dort Konzerte anzuhören, sollte an die Augusttage im Sommer 1950 denken und sein Glas darauf erheben. Am besten natürlich mit Cannstatter Mineralwasser.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Landeszentrale  für politische Bildung BW: Das „Recht auf Heimat“ als der zentrale Inhalt der Charta [Scan des Original-Dokuments].
  • Bund der Vertriebenen: Text der Charta.
  • Landeszentrale  für politische Bildung BW/Angelika Hauser-Hauswirth: Deutsche Heimatvertriebene im Südwesten (= Baden-Württemberg, Landeskunde 16/2010) [online].
  • Jörg Hackmann: Die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ vom 5. August 1950, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2010 [online].

An allen Ufern – Der Christopher Street Day am Bodensee kennt keine Grenzen

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18. Juli 2009 | Für einen Regenbogen ist neben Sonnenschein auch Wasser notwendig. Direkt am Bodensee gelegen, bietet Konstanz somit beste Möglichkeiten, um die Farben leuchten zu lassen. Und wie sie leuchteten, als am 18. Juli 2009 die fröhliche Menge beim „Christopher Street Day (CSD) am See“ die Deutsch-Schweizer Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen überschritt. Tanzend, jubelnd, protestierend hatten die Teilnehmer*Innen für eine Premiere gesorgt: Der erste grenzüberschreitende CSD weltweit sorgte hüben wie drüben dafür, dass der Kampf gegen die Diskriminierung Homosexueller und für die Anerkennung verschiedener sexueller Identitäten hörbarer und sichtbarer wurde. Die CSD-Paraden gehen auf die 1969er Proteste nach einer brutalen Razzia gegen Schwule und Lesben in einer New Yorker Kneipe zurück. Seitdem gibt es weltweit CSD-Veranstaltungen, die zwischen politischen Demonstrationen und schrill-bunten Partys pendeln.

Des Volkes Stimme | „Vom anderen Ufer“ – der CSD am Bodensee kennt keine Grenzen

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Auf der ersten Konstanzer CSD-Veranstaltung im Jahre 1992 boten rund 50 Menschen den damals noch häufig anzutreffenden Vorurteilen und Anfeindungen die Stirn. Die Formulierung „Vom anderen Ufern sein“ wurde vielfach noch abwertend gebraucht und sollte eine deutliche Abwertung bezeichnen. Solidarisch und kämpferisch stellten sich Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender Personen den Ressentiments entgegen. Selbstbewusst erhoben sie politische Forderungen wie beispielsweise nach der gleichgeschlechtlichen Ehe oder der Berücksichtigung verschiedener sexueller Orientierungen im Schulunterricht.

Der „CSD am See“ machte in den Folgejahren in verschiedenen Bodenseestädten Station. Mit dem 2009 erfolgten Sprung in die Schweiz pfiffen die Aktivisten und Teilnehmenden auf alle Grenzen und sorgten mit bekannten Szenegrößen wie Lilo Wanders und Ralph Morgenstern für Stimmung und Beachtung ihrer Anliegen. Zwischen den alle zwei Jahre stattfindenden CSD-Paraden initiiert der Verein „CSD in Konstanz“ zahlreiche Aktionen, Informationen und Unterhaltung. So bieten Ehrenamtliche des Projekts „SchLAu“ (Schwul Lesbisch Bi Trans Aufklärung) Workshops an, in denen Jugendliche und Erwachsene für sexuelle Vielfalt sensibilisiert werden, um gegen Homophobie und Mobbing auftreten zu können.


Zum Weiterlesen und -forschen:

Alleinerziehend, na und? – Luise Schöffel gründet den „Verband lediger Mütter“

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 8. Juli 1967 |  Sie machte Frauen Mut: die Herrenbergerin Luise Schöffel. Ihren Sohn (Jahrgang 1944) zog sie alleine groß und arbeitete zugleich als Lehrerin an der örtlichen Schule. Alleinerziehende Mütter hatten es auch in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels Mitte der 1960er Jahre in Westdeutschland alles andere als leicht: Sie wurden diskriminiert, über sie wurde getuschelt und oftmals reichten die Unterhaltszahlungen der Väter nicht oder blieben ganz aus. Eine Reform des „Unehelichenrechts“ und die Absicherung der Alleinerziehenden durch staatliche Sozialleistungen waren in den Augen Luise Schöffels dringend geboten. Mit Zeitungsannoncen bat sie um Zuschriften von ledigen Müttern, die sich zahlreich meldeten und zum Teil verzweifelte Lebensumstände schilderten:

„Was ich da las, war erschütternd: materielle Not, Vereinsamung, ständige Schwierigkeiten mit dem Jugendamt, den Pflegestellen, in Mutter-Kind-Heimen, keine Unterhaltszahlungen, das Jugendamt behalte Teile der Unterhaltszahlungen ein, um dem Kind Vermögen zu bilden‘ usw.“ (Aus den Erinnerungen Luise Schöffels, 1992)

Eine Geschäftsstelle im Wohnzimmer: Bis Mitte der 1970er leitete Luise Schöffel den „Verband lediger Mütter“ von den heimischen vier Wänden aus (Bildnachweis: Gunhild Ziegenhorn).

Mit der Gründung des „Verbands lediger Mütter e. V.“ am 8. Juli 1967 beschritt die Herrenbergerin einen mühsamen, aber erfolgreichen Weg. Energisch sammelte sie Informationen zur sozialen Lage lediger Mütter, verschickte 270 Fragebögen und schuf auf diese Art eine solide Argumentationsgrundlage für ihr Anliegen. Noch im Dezember 1967 veranstaltete Schöffel gemeinsam mit der CDU Baden-Württemberg eine öffentliche Veranstaltung, auf der sie die Arbeit der Jugendämter kritisierte. In einem Schreiben an den Europarat forderte sie, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, die Rechte alleinerziehender Mütter zu stärken. Mit Erfolg: Durch Straßburg gerügt, änderte die neue Bonner SPD/FDP-Regierung mit Willy Brandt an der Spitze im Juli 1970 die betreffenden Gesetze.

Mit diesem Inserat im Schwäbischen Boten animierte Luise Schöffel im Frühjahr 1967 ledige Mütter zur Gründung eines Verbands (Bildnachweis: Frauengeschichtswerkstatt Herrenberg).

Mitte der 1970er Jahre verlagerte der mittlerweile in „Verband alleinstehender Mütter und Väter“ (VAMV) umbenannte Verein seine Geschäftsstelle aus Luise Schöffels Privatwohnung nach Frankfurt am Main. In den kommenden Jahren rückte der Verband mit verschiedenen Initiativen und Vorschlägen die soziale und finanzielle Lage der von ihm Vertretenen in den Fokus der Öffentlichkeit: Die schon Ende der 1980er erhobene Forderungen nach einem Rechtsanspruch für Tagesbetreuung gehörten ebenso zur Arbeit des Verbandes wie die Dokumentation der Auswirkungen der Hartz IV-Gesetze auf Alleinerziehende. Luise Schöffel, die sich im Jahre 1976 von der Leitung des VAMV zurückzog, war zudem kommunalpolitisch für die SPD aktiv und die erste Frau im Böblinger Kreistag. Der VAMV ist damals wie heute die starke Stimme der Alleinerziehenden geblieben.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Valentina Finckh/Claudia Nowak-Walz: „Ich wollte das Recht reformieren, denn wer im Recht diskriminiert ist, ist es auch in der Gesellschaft“. Luise Schöffel (1914 – 1997), in: Frauengeschichtswerkstatt Herrenberg (Hg.): Frauen gestalten Herrenberg. Herrenbergerinnen des 20. Jahrhunderts. Politik – Bildung – Sport, Mössingen-Talheim 2014, S. 23-34.
  • Frauengeschichtswerkstatt Herrenberg: Kurzbiografie Luise Schöffel.
  • Verband alleinstehenden Mütter und Väter: Erinnerungen Luise Schöffels an die Gründungsphase des Verbands.
  • Verband alleinstehenden Mütter und Väter: Homepage.

Straße, endlose Straße – Der Vagabundenkongress 1929 in Stuttgart

Ein Kommentar

21. Mai 1929 | Ein „umherschweifender Rebell, ein revolutionärer Wanderagitator der Brüderlichkeit in den Pennen und Asylen Europas“ sei der „Kunde“ (eine alte Selbstbezeichnung der Landfahrer und Vagabunden). So formulierte es der anarchistische, später kommunistische Aktivist Gregor Gog auf dem ersten Internationalen Vagabundenkongress in Stuttgart im Jahre 1929.  Über 500 „Kunden“ folgten seinem Ruf und fanden sich vom 21. bis 23. Mai 1929 im Freidenker-Jugendgarten an der Kunsthochschule auf dem Stuttgarter Killesberg ein. Für drei Tage war hier die Hauptstadt des „Vagabundischen“: In ihren Reden griffen politisch aktive Kunstschaffende wie Alfons Paquet, Hans Tombrock und Heinrich Lersch ebenso wie der libertäre Kommunist Rudolf Geist oder der Pfarrer Jakob Weidemann das herrschende Gesellschaftssystem an.

Georg Gog brachte eine eigene „Zeit- und Streitschrift“ für die Tippelbrüder heraus: „Der Kunde“.

Neben der Möglichkeit, einen sicheren Ort für Geselligkeit und Austausch bereitzustellen, ging es den Veranstaltern auch darum zu zeigen, wie vielfältig die im Schoße der Vagabundenbewegung erwachsene Kunst war: Mit einer eigenen Kunstausstellung und einer durch behördliche Eingriffe zensierten Rundfunksendung erreichten die Aktiven ein großes Publikum, nicht immer zur Freude der damaligen Stadtverwaltung. Diese versuchte, das Ereignis möglichst geräuschlos passieren zu lassen. Entgegen dieser Hoffnung strömten zahlreiche Pressevertreter auf den Killesberg, um sich ein möglichst exotisches und romantisierendes Bild der Versammelten zu machen. Doch Aktivisten wie Gregor Gog, der als Bewohner einer selbstgezimmerten Hütte vor den Toren Stuttgart bereits selber reichlich exotisch wirkte, wussten es besser: Obdach- und Arbeitslosigkeit waren schwere Bürden der rund 100.000 Menschen auf der Straße, von denen sich nur ein kleiner Teil bewusst und freiwillig zu diesem Lebensstil entschieden hatte.

Die linke Arbeiter-Illustrierte Zeitung (AIZ) berichtete in Ausgabe 23/1929 halb solidarisch, halb kritisch über das Stuttgarter Ereignis (Bildnachweis: HdGBW).

Bereits im Jahre 1927 nahm Gog den Kampf gegen die „Vereinsamung“ der Vagabunden auf, gründete die „Bruderschaft der Vagabunden“, veröffentlichte die „Zeit- und Streitschrift“ „Der Kunde“ und leitete einen eigenen „Verlag der Vagabunden“. In dem wurde unter anderem Otto Zieses Gedichtband „Straße – endlose Straße“ veröffentlicht. Vagabundentum, das sei ein lebenslanger Generalstreik, mit der die „kapitalistische, ,christliche‘, kerkerbauende Gesellschaft ins Wackeln, ins Wanken, zu Fall“ gebracht werde, erklärte Gog in seiner Rede auf dem Vagabundenkongress. In der Folgezeit radikalisierte er sich zunehmend, trat (erneut) der KPD bei und floh vor der Verfolgung durch das NS-Regime in die Sowjetunion, wo er nach dramatischen Jahren Ende 1945 verstarb. Die Vagabundengemeinschaft wurde ab 1933 systematisch von den braunen Machthabern in Deutschland verfolgt.

Im Jahre 1981 erregte der letztendlich gescheiterte Versuch, eine Neuauflage des Vagabundenkongresses zu veranstalten, noch einmal die Stadt Stuttgart: Alte Vorurteile und Ängste brachen sich erneut Bahn, diesmal sogar vermischt mit fremdenfeindlichen Stimmen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Diethart Kerbs: Vagabundenkongreß Stuttgart Mai 1929 (= Edition Photothek, Bd. XVII), Berlin 1986 [darin: zahlreiche Fotografien des Kongresses].
  • Michael Kienzle/Dirk Mende:  Denkblatt: Gregor Gog. 1891 – 1945. Generalstreik das Leben lang! Stuttgart 2004 [digitale Ausgabe].
  • Patrick Spät/Beatrice Davies: Der König der Vagabunden. Gregor Gog und seine Bruderschaft, Berlin 2019 [Graphic Novel].
  • Klaus Trappmann: Landstraße, Kunden, Vagabunden. Gregor Gogs Liga der Heimatlosen, Berlin 1980.

Das Schweigen wird beendet – Louise Dittmar spricht öffentlich

Ein Kommentar

10. Mai 1847 | „Das Weib soll schweigen“ (1. Kor. 14, 34). An diesem Montag nahm das Schweigen endgültig ein Ende. In aller Öffentlichkeit sprach Louise Dittmar im Mannheimer „Montags-Verein“ über „vier Zeitfragen“. Ihr Auftritt war eine Sensation für das Publikum – „einige hundert Männer und Frauen, hörbegierig lauschend auf die seltenen Mut und liebenswürdige Schüchternheit und Bescheidenheit innig vereinende Sprecherin!“ („Mannheimer Abendzeitung“, 12. Mai 1847)

Des Volkes Stimme | Das Schweigen wird beendet - Louise Dittmar spricht öffentlich

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Die in 1807 in Darmstadt geborene Louise Dittmar hatte in den Jahren zuvor verschiedene Abhandlungen verfasst.  Auf ihr Essay „Skizzen und Briefe aus der Gegenwart“ folgten 1846 und 1847 die Schriften „Der Mensch und sein Gott in und außer dem Christenthum“ sowie „Lessing und Feuerbach“. Obwohl ihre Texte ohne Namensnennung erschienen waren, verbreitete sich schnell Dittmars Ruf einer kirchenkritischen Denkerin, die an der Religionskritik von Ludwig Feuerbach angelehnt, den herkömmlichen Gottesglauben hinterfragte. Ausdrücklich wurde sie im Mannheimer „Montags-Verein“ auch als eine entsprechende Autorin begrüßt.

Karl Scholl, der die einführenden Worte sprach, galt als einer der führenden Kräfte des Vereins. Der Prediger der neuen deutsch-katholischen Gemeinde in Mannheim hatte zusammen mit Amalie und Gustav Struve im Februar 1847 den „Montags-Verein“ gegründet. Dort sollten im Sinne der Aufklärung nicht nur religiöse, sondern auch sozial- und gesellschaftspolitische Fragen diskutiert werden. Allein die Beteiligung des Ehepaares Struve garantierte, dass die Veranstaltungen des Vereins prinzipiell offen für Frauen waren. Die Einladung an Louise Dittmar hob diese völlig ungewohnte Gleichberechtigung noch einmal auf ein neues Niveau. „Zum ersten Mal spricht eine Frau sich öffentlich über das aus, was sie unter Gewissensfreiheit versteht“, betonte Dittmar die historische Bedeutung. Entschlossen nutzte sie das Mannheimer Forum für ein überzeugendes Plädoyer für die Gleichberechtigung von Frauen: „Nicht eher wird die Menschheit einer harmonischen Fortentwicklung fähig werden, nicht eher werden jene rohen Triebe sich läutern und edleren Empfindungen Raum geben, bis man allen Teilen der Gesellschaft das Recht gestattet, sich auszusprechen, bis man auf alle Forderungen hört, und alle gegen einander abwägt!“

Der Mannheimer Vortrag war so erfolgreich, dass Dittmar ihn publizieren ließ – dieses Mal unter ihrem Namen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Louise Dittmar: Vier Zeitfragen. Beantwortet in einer Versammlung des Mannheimer Montag-Vereins. Offenbach 1847.
  • Christina Klausmann: Louise Dittmar (1807-1884): Ergebnisse einer biographischen Spurensuche, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Band 28 (1989), S. 17-39.

 

Liebe und Gerechtigkeit aus der Fabrik – Gustav Werner als Pionier der Sozialdiakonie

Ein Kommentar

7. Mai 1851 | „Die hießige Papierfabrik (…) stand seit zwei Jahren verlassen da, auf sie hatte ich schon längere Zeit mein Auge gerichtet; (…) Aber die steigende Noth in der Menschheit, die drohende Zukunft, die Mahnungen des Herrn drangen immer stärker auf mich ein, und ließen mir keine Ruhe; (…) am Pfingstmittwoch den 22. Mai schloß ich den Kauf rasch in einer frühen Morgenstunde ab, ohne auch nur meinen nächsten Freunden etwas davon zu sagen (…).“ (Gustav Werner in: „Der Friedensbote. Eine Zeitschrift für das Reich Gottes“, 1851, 2. Heft, S. 52-53).

Des Volkes Stimme | Liebe und Gerechtigkeit - Gustav Werners christliche Fabriken

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Werners Schilderungen, wie er im Morgengrauen vom Wanderprediger zum christlichen Fabrikbesitzer geworden war, gewähren nicht nur einen Einblick in das Seelenleben eines Einzelnen. Vielmehr spiegelt sich darin auch die Suche der Gesellschaft nach Antworten auf die „soziale Frage“. In Württemberg grassierten Hunger, Armut und Hoffnungslosigkeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts besonders stark. Während in Baden Revolutionäre wie Hecker und das Ehepaar Struve tatkräftig für die Republik stritten und europaweit erste sozialistische Gruppierungen die Überwindung von Ungleichheit und Unterdrückung einforderten, wollte Gustav Werner seinen Mitmenschen einen gottgefälligen Weg zu Liebe und Gerechtigkeit ebnen. Er erkannte, dass Teilhabe an der Gesellschaft und individuelle Würde eng mit der eigenen Hände Arbeit verbunden ist.

Mit dem am 7. Mai 1851 in Reutlingen eingeweihten Bruderhaus, einer Hausgemeinschaft mit angeschlossener Papierfabrik, beabsichtigte er, das „Reich Gottes“ stückweise auf Erden erfahrbar zu machen. 130 Menschen fanden hier ihr Auskommen. Zugleich setzte Werner in der Frühphase voraus, dass sich die Arbeitenden als fromme Christenmenschen zeigten: „(…) ich weise auch fast immer Leute ab, welche bei mir Hilfe und Arbeit suchen und dabei vorwenden, daß sie meine Vorträge hören.“ (ebd., S. 74). Er persönlich erblickte in der Industrialisierung das Wirken Gottes und trieb die Expansion des Bruderhausvereins mit seinen „christlichen Fabriken“ energisch voran. Doch schon zwei Jahre später zeigten sich offensichtliche Probleme seines Modellversuchs: Die Fabrik war unrentabel, immer mehr Arbeitskräfte kamen von außen und waren nicht in der frommen Hausgemeinschaft organisiert. Der württembergische Staat musste im Jahre 1865 sogar Werners Unternehmen retten, doch nach der Ausgabe von Anteilsscheinen (Aktien) stellte sich eine relative Stabilität ein.

Besonders erwähnenswert ist der Umstand, dass Gustav Werner Menschen mit Behinderung, im damaligen Jargon „halbe Kräfte“ genannt, als selbstbewusste Arbeitskräfte ernst nahm und ihnen Arbeit gab. Die Gründung der „Gustav Werner-Stiftung zum Bruderhaus“ im Jahr 1882 setzte ein Ausrufungszeichen hinter die Idee der Integration von behinderten Menschen in den Alltag und wirkt bis heute fort.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • BruderhausDiakonie: Homepage der Stiftung Gustav Werner.
  • Hartmut Zweigle: „Herrschen mög‘ in unseren Kreise Liebe und Gerechtigkeit!“ Gustav Werner – Leben und Werk, Stuttgart 2009.

AIDS hat keine Chance – die AIDS-Hilfe Baden-Württemberg nimmt den Kampf auf

Ein Kommentar

25. April 1987 | Die Resonanz war verhalten, wie Martin Gauly, Mitglied der AIDS-Initiative Karlsruhe, bedauernd einräumte: „Die Bevölkerung ist vorläufig noch in Panikstimmung, Ängste herrschen vor, man traut sich nicht an das Problem heran.“ (Badische Neueste Nachrichten, 27.04.1987, S. 10). Zumeist Jugendliche seien zaghaft an den Stand der aufklärenden Aktiven am Europaplatz herangetreten und hätten das Gespräch an diesem ersten Landesaktionstag am 25. April 1987 gesucht.

 

Das schwache Echo kann wohl nicht am Engagement der AIDS-Hilfegruppen in Baden-Württemberg gelegen haben: Am 21. März 1987 hatten die bestehenden Stellen in Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Konstanz, Mannheim, Pforzheim, Tübingen, Stuttgart und dem Unterland die Gründung eines Landesverbands beschlossen. Ziel war es, bestehende Erfahrungen, Kräfte und Ressourcen zu bündeln, um noch besser in der Öffentlichkeit als Ansprechpartner für Betroffene wie Nicht-Betroffene wahrgenommen zu werden. Dies war bitter nötig, denn auch fünf Jahre nach der Diagnose des ersten Falles der Immunschwäche-Krankheit in der Bundesrepublik waren Unwissenheit über die Übertragungswege, Stigmatisierung der Erkrankten („Schwulen-Seuche“) und fehlende Heilungsmethoden der Nährboden für sowohl medial geschürte Panik als auch für eine gefährliche Ist-mir-egal-Haltung.

 

In baden-württembergischen Großstädten entstanden Selbsthilfeorganisationen, die Homosexuelle, Prostituierte und Drogenabhängige gleichermaßen wie Heterosexuelle und SchülerInnen ansprechen wollten: Wie benutzt man Kondome richtig? Ist AIDS durch Küssen übertragbar? Während die Aktiven Antworten auf solch grundlegende Antworten zu geben versuchten, schwankte der Umgang politisch Verantwortlicher mit dem Thema zwischen Unterstützung der Hilfsgruppen bis hin zu Forderungen nach Isolation von Menschen mit dem HI-Virus, wie sie der bayrische Staatssekretär Peter Gauweiler im Jahre 1987 vertrat.

In Baden-Württemberg positionierte sich Barbara Schäfer (CDU), Ministerin für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung, klar gegen diesen Kurs. Sie wolle entschieden gegen jegliche soziale Diskriminierung von AIDS-Infizierten in der Gesellschaft vorgehen, stellte die Ministerin in einer von den GRÜNEN beantragten Aktuellen Debatte des Landtags am 11. März 1987 klar. Damals wurden im Land 70 AIDS-Patienten gezählt, 34 davon waren bereits verstorben. Die GRÜNEN drängten auf mehr Fördermittel für die Hilfsgruppen im Land, die SPD forderte, dass das Vertrauen von Betroffenen in den staatlichen Apparat gestärkt werden solle und die FDP/DVP sprach die schwierige Lage von AIDS-Kranken im Strafvollzug an.

Über die Jahrzehnte hat sich die AIDS-Hilfe Baden-Württemberg als starke Interessenvertretung erwiesen. Mit Aktionen wie der Verleihung des PositHIV-Preises an Personen, die sich um die Wahrung der Belange HIV-Infizierter verdient gemacht haben, gelingt es der Vereinigung, in Zeiten verbesserter medizinischer Versorgung der Erkrankten auf die bestehenden Gefahren der Krankheit hinzuweisen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • AIDS-Hilfe Baden-Württemberg: Homepage.
  • Protokoll der Aktuellen Debatte zur Situation der an AIDS Erkrankten (…), 67. Sitzung, 11.03.1987, in: Landtag BW, Protokolle, 1986-1987, Bd. 6, S. 5441-5453: Onlineversion.
  • Deutsche AIDS-Hilfe: Umfassendes Onlinearchiv – Digitalisate seit der Gründung des Vereins.

/// Das Streben nach dem „Wahren, Schönen, Guten“ steht am 27. April in unserem Onlinekalender im Mittelpunkt.

Im Zeichen der Biene – in Alfdorf entsteht der erste Landfrauenverein nach 1945

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20. April 1946 | Die Biene steht für Fleiß und Gemeinschaftssinn, für harte Arbeit und das Leben in der Natur. Nicht zuletzt deshalb ist die geflügelte Sympathieträgerin seit über einhundert Jahren selbstgewähltes Symbol der Landfrauen. Elisabet Boehm legte im Jahre 1898 in Ostpreußen mit ihrem „Landwirtschaftlichen Hausfrauenverein“ den Grundstein einer Bewegung, die vielen Frauen neue Möglichkeiten eröffnete. Boehm setzte nicht nur auf Weiterbildung, sondern förderte auch die Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte in eigenen Verkaufsstellen – was Frauen erstmals erlaubte, selbst ein Einkommen zu erzielen. Nach der Machtübernahme der NSDAP befürwortete Boehm jedoch auch die Aufnahme der Landfrauen in den die NS-Ideologie vertretenden Reichsnährstand.  Ein Teil der bisherigen Mitglieder zog sich bewusst in die innere Emigration zurück oder trat aus.

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Nach Ende des Zweiten Weltkriegs musste daher eine neue Landfrauenbewegung unter einem neuen Namen entstehen. Die amerikanische Besatzungsmacht unterstützte diesen Prozess aktiv im Rahmen der „Re-education“. Im kleinen Alfdorf bei Schwäbisch Gmünd gründete Margarethe Freifrau vom Holtz gemeinsam mit Marie-Luise Gräfin Leutrum von Ertingen und anderen Aktivistinnen am 20. April 1946 den ersten „Landfrauenverein“ im damaligen Württemberg-Baden. Jede Frau im Dorf ansprechen, von der Bäuerin bis zur Pfarrersfrau, explizit auch die Frauen der Arbeiter – diesen Grundsatz schrieb Marie-Luise Gräfin Leutrum von Ertingen den Alfdorferinnen bei einem Besuch im November 1946 buchstäblich ins Stamm- beziehungsweise Gästebuch. Leutrum reiste in dieser Zeit unentwegt durch das Ländle und animierte Frauen zur Gründung von Ortsvereinen; im Folgejahr gelang es ihr, den Landfrauenverband Württemberg-Baden ins Leben zu rufen, dessen Vorsitzende sie wurde. Der LandFrauenverband Württemberg-Baden ist der erste Landesverband der Landfrauen in den westlichen Besatzungszonen. Kurz darauf initiierte Gräfin Leutrum die Gründung des Deutschen Landfrauenverbandes, der ein Jahr später in Bonn – Bad Godesberg gegründet wurde. Gräfin Leutrum wurde zur ersten Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes gewählt.

Seit der Neugründung in der Nachkriegszeit hat sich das Profil des Landfrauenverbands abermals gewandelt. Statt für Frauen einzutreten, die hauptsächlich in landwirtschaftlich geprägten Umfeldern („Haus und Hof“) tätig sind, stehen nun Frauen auf dem Land im Mittelpunkt der Aktivität. In den 1980ern regte der Landesverband grundlegende Diskussionen zu den Themen Heimat und Zukunft des ländlichen Raumes an. Mit eigenständigen Seminaren soll Frauen der Weg in die Kommunalpolitik geebnet und mit Nachdruck der Wert weiblicher Tätigkeit in Beruf und Familie öffentlich betont werden. Dabei machen die Aktivistinnen nicht vor Ländergrenzen halt: Anfang der 1990er Jahre bildeten sich Kontakte zu Frauenvereinigungen im Baltikum sowie in verschiedenen afrikanischen Staaten aus. Seit 2005 unterstützt der Landesverband Selbsthilfeprojekte in Kenia, mit denen unter anderem das Auskommen verwitweter Frauen und verwaister Mädchen gesichert werden sollen.

LandFrauen von heute ziehen erfolgreich Honig aus ihrer Herkunft und bieten einen Blumenstrauß voller Ideen und Projekte.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • LandFrauenverband Baden-Württemberg: Homepage.
  • Anke Sawahn: Die Frauenlobby vom Land. Die Landfrauenbewegung in Deutschland und ihre Funktionärinnen 1898 bis 1948, Frankfurt am Main 2009.
  • Landfrauenverband Württemberg-Baden (Hg.): Rückblicke – Einblicke – Ausblicke, 1947-1997. 50 Jahre Landfrauenverband Württemberg-Baden e.V. , Stuttgart 1996.

/// Gebildet in der Kneipe: Was es damit auf sich hat, lesen Sie am 23. April.

Neuer Dünger für die Unis – Margarete von Wrangell wird Professorin

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12. März 1923 | Es war ein langer Weg. Moskau, Reval, Tübingen und Paris waren nur einige der Stationen, die Margarete von Wrangell schließlich nach Hohenheim führten. In Moskau war Wrangell am 7. Januar 1877 geboren worden, in Reval (heute die estnische Hauptstadt Tallinn), wo ihre Familie herstammte, wuchs sie auf, in Tübingen promovierte sie 1909 in Chemie und in Paris forschte sie 1912 zusammen mit Marie Curie. An der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim wurde sie 1920 mit  „Phosphorsäure und Bodenreaktion“ habilitiert. Ihre wissenschaftliche Abhandlung war die erste in Hohenheim angenommene Habilitation. Und in Hohenheim trat am 12. März 1923 auch ihre Ernennung zum „ordentlichen Professor“ in Kraft. Damit war sie die erste Professorin Deutschlands!

Der Gesellschaft blühte es: Der Platz einer Frau ist auch die Universität. Von Wrangell bewies dies mit Erfolg (Bearb.: HdG BW/Hemberger).
Der Gesellschaft blühte es: Der Platz einer Frau ist auch die Universität. Von Wrangell bewies dies mit Erfolg (Bearb.: HdG BW/Hemberger).

Im Zentrum ihrer Forschungen stand die für die deutsche Landwirtschaft zentrale Frage der Phosphordüngung. Phosphat musste im Ausland teuer eingekauft werden. Deshalb entwickelte Margarete von Wrangell eine Düngemethode, die die im Boden enthaltene Phosphorsäure aktivierte. Die im Ernennungsschreiben vom 19. Februar 1923 ausgesprochene Bedingung für die ordentliche Professur, dass die „vom Reich erforderlichen Mittel für den Ausbau des Pflanzenernährungs-Instituts“ gewährt würden, konnte dank einer Initiative der Düngemittelindustrie und des Reichsernährungsministers erfüllt werden. Die Errichtung des Instituts war ausdrücklich an die Person Margarete von Wrangells und ihre Forschungen geknüpft. Für sie selbst bedeuteten der Aufbau und die Leitung des Instituts die Krönung ihres Lebenswerkes. „Mein Institut ist eine Schöpfung, die von dauerndem Wert und Nutzen bleiben wird, und macht mir trotz großer Sorge und Arbeitsüberlastung doch Freude“, schrieb die von einem chronischen Nierenleiden schwer belastete von Wrangell. Seit Oktober 1931 konnte sie ihre Professur nicht mehr ausüben, sie starb am 31. März 1932 an Nierenversagen.

Neben der Phosphorsäurefrage galten von Wrangells Forschungen auch dem allgemeinen Nährstoffzustand des natürlichen Bodens. Ihr gelang unter anderem der Nachweis, dass die Pflanze die Bodennährstoffe nicht aus dem Boden direkt, sondern aus der die Wurzeln unmittelbar umgebenden Bodenflüssigkeit entnimmt. Aktualität gewannen die Arbeiten der Wissenschaftlerin noch einmal für den ökologischen Landbau in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Ulrich Fellmeth (Hg.): Margarete von Wrangell und andere Pionierinnen. Die ersten Frauen an den Hochschulen in Baden und Württemberg (= Hohenheimer Themen, Bd. 7), St. Katharinen 1998.
  • LEO-BW: Biografie Margarete von Wrangells.

/// Am 16. März erscheint der nächste Eintrag. Mit allen Kräften wird hart Erkämpftes verteidigt.

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