Musen für Mannheim – Fritz Wichert versammelt die Freunde der Kunst

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27. April 1911 | Sie wollen die Musen, die neun mythologischen Schutzgöttinnen der Kunst aufsuchen? Menschen der Antike hätten Ihnen empfohlen, am Berg Helikon in der Region Boiotien (Mittelgriechenland) nach den Töchtern Zeus zu suchen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bemühten sich führende Mannheimer Kreise um die Einbürgerung der Musen in die blühende Industrie- und Handelsstadt an Rhein und Neckar:  Anlässlich des 300. Stadtjubiläums im Jahre 1907 konnte die städtische Kunsthalle als exklusiver Musentempel eröffnet werden. Der Kunsthistoriker Fritz Wichert übernahm zwei Jahre später das Amt des Direktors. Unter seiner Regie wurden damals hochmoderne museums- und ausstellungspädagogische Konzepte praktisch umgesetzt und der zeitgenössischen Kunst eine tragende Rolle zugesprochen. So konnten Mannheimer Kunstfreunde beispielsweise das großformatigen Historiengemälde „Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“ des impressionistischen Malers Édouard Manet bestaunen. Dass Wichert die Kunst des „Erzfeinds“ (Manet war Franzose) nach Mannheim geholt hatte, erzürnte sogleich deutsch-nationale Kreise in der Quadratestadt.

 

Fritz Wichert wollte zudem  die Sesshaftigkeit der Kunst in Mannheim weiter vertiefen. Zu diesem Zweck gründete er am 27. April 1911 den „Freien Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst in Mannheim“, der noch im ersten Jahr seines Bestehens auf die stattliche Zahl von 1.000 Mitgliedern verweisen konnte. In seiner grundlegenden Schrift über die Geschichte des Freien Bundes betont der Historiker Jenns Eric Howaldt, dass sich die Organisation selber „als Massenbewegung, die mit den Bildungsbestrebungen der Arbeiterbewegung im Einklang steht“ verstand. Seit 1861 existierte der Mannheimer Arbeiter-Bildungs-Verein als Teil der Emanzipationsbewegung der Arbeiterklasse. Mit einer „Akademie für Jedermann“, Vorträgen, einer Kunstberatungsstelle und günstigen Repliken bekannter Kunstwerke für die Wohnstube sollte der bildenden Kunst der elitärer Charakter genommen werden, zum Nutzen und zur Erbauung aller Volksschichten und -klassen dienstbar gemacht werden.

Kunst für Jedermann, auch für die jüngsten: Wichert mit seinem Sohn Jan auf dem Balkon seiner ersten Mannheimer Wohnung, 1909/10(Bildnachweis: Marchivum, Sig. AB01481-004; teilw. Ausbesserung: HdG BW/Hemberger).
Kunst für Jedermann, auch für die Jüngsten: Wichert mit seinem Sohn Jan auf dem Balkon seiner ersten Mannheimer Wohnung, 1909/10 (Bildnachweis: MARCHIVUM Mannheim, Sig. AB01481-004; teilw. Ausbesserung: HdG BW/Hemberger).

Stolz verkündete Wichert in seiner Rede zur Eröffnung der „Akademie für Jedermann“ am 21. Januar 1912, dass der „freie Bund“ eine regelrechte „Volksbewegung“ geworden sei, die in ganz Deutschland mit Bewunderung genannt werde. Tatsächlich zählte der Verein im Jahre 1914 rund 7.000 Mitglieder und die Kunsthalle etablierte sich als gefragter Ausstellungsraum für die (damals) moderne Kunst. Unter dem seit 1923 als Direktor tätigen Gustav F. Hartlaub wurde eine umfassende Sammlung von Werken des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit zusammentragen. Die „Mannheimer Bewegung“ setzte Maßstäbe.

Seit Juni 2018 steht neben der Kunsthalle von 1907 ein nagelneuer Anbau. Wenn Sie es also nicht nach Griechenland schaffen sollten: Die Mannheimer Musen freuen sich ebenfalls über einen Besuch.

 


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Jenns Eric Howoldt:  Der Freie Bund zur Einbürgerung der bildenden Kunst in Mannheim. Kommunale Kunstpolitik einer Industriestadt am Beispiel der «Mannheimer Bewegung», Frankfurt a. Main/Bern 1982.
  • Christmut Präger: „Zur vollen Macht und Reife der Großstadt“, in: Ulrich Nieß/Michael Caroli (Hgg.): Geschichte der Stadt Mannheim, Bd. II: 1801 – 1914, Heidelberg/u.a. 2007, S. 628- 685, hier S. 638-644.
  • Leo BW: Kurzbiografie zu Fritz Wichert.
  • Kunsthalle Mannheim: Homepage.

/// Am 2. Mai kümmern wir uns um „Schweinkram“!

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