„Kein Geläute, kein Gottesdienst“ – Der Fall Josenhans in Schorndorf

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19. Januar 1936 | Der Showdown – kein Western-Film kommt ohne ihn aus. High Noon, Punkt 12 Uhr, stehen sich Gut und Böse im Herzen einer Kleinstadt gegenüber, den Finger am Abzug und bereit, eine endgültige Entscheidung herbeizuführen. Ein solches Duell ereignete sich am 19. Januar 1936 im beschaulichen Schorndorf, zum Glück ohne Schusswaffen, dafür aber mit Worten und Kirchenliedern.

Hinter den Kulissen der Postkartenidylle brodelte der Kirchenstreit: Die Schorndorfer Stadtkirche in den 1930er Jahren (Bildnachweis: Stadtarchiv Schorndorf, Postkarten 608, Postkarte Nr. 274, Sign.: 608/274).
Hinter den Kulissen der Postkartenidylle brodelte der Kirchenstreit: Die Schorndorfer Stadtkirche in den 1930er Jahren (Bildnachweis: Stadtarchiv Schorndorf, Postkarten 608, Postkarte Nr. 274, Sign.: 608/274).

Auch innerhalb der evangelischen Kirchengemeinde Schorndorf schwelte seit 1933 der Kampf zwischen den unbedingt systemtreuen Deutschen Christen (D.C.) und Gläubigen, die sich jegliche Einmischung des Staates in innerkirchliche Fragen verbaten und damit der Strömung der „Bekennenden Kirche“ anhingen. Als im Oktober 1934 der Württembergische Landesbischof Theophil Wurm auf Druck von D.C. und Staat seines Amtes enthoben wurde, verhielt sich der damalige Schorndorfer Dekan Otto Rieder D.C.-treu. Wurm erhielt seinen Posten später zurück, Rieder aber verlor ihn und Dekan Johannes Josenhans wurde kommissarisch als dessen Stellvertreter eingesetzt. Da Rieder keine Anstalten machte, seine Stellung zu räumen, machte sich Unmut unter den Schorndorfern breit: Der Kirchengemeinderat schrieb rückblickend von „untätige[n] und darum unnationalsozialistische[n] Verhalten“; einige Gläubige weigerten sich, fortan Kirchensteuer zu zahlen, da diese „nur zur Besoldung von Faulenzern“ diene.

Am 16. Januar 1936 kehrte der bereits auswärts wohnende Rieder zurück, um seinen Sohn an der Realschule anzumelden. Josenhans fürchtete, dass „die Gemeinde (…) um den Ertrag ihres Kampfes um ein reines Evangelium (…) schmählich betrogen würde“ und Rieder seinen Posten wieder einnehmen würde. Folglich wollte er seinem Protest Nachdruck verleihen. In der Tagespresse erschien sein Hinweis, dass am Sonntag „Kein Geläute, kein Gottesdienst“ stattfinden werde.

Die lokalen NSDAP- und SA-Führer fühlten sich provoziert und ließen ihre Getreuen vor der Stadtkirche aufmarschieren. Bereits am Morgen hatte Ortsgruppenleiter Schaufler, zugleich D.C.ler und Mitglied des Kirchengemeinderat, Josenhans‘ Ehefrau telefonisch gedroht: „Es gibt noch einen Kuhberg!“ – gemeint war das Konzentrationslager Kuhberg in Ulm. Demonstrativ verkündeten sie vor Rieder Haus: „Dekan Rieder, wir grüßen dich, Heil Hitler!“ Um 11.45 Uhr kamen 300 bis 400 Josenhans-Anhänger vor der Kirche zusammen, sangen „Eine feste Burg ist unser Gott“ und hörten die Segensworte „ihres“ Dekans. Vorwürfe der Nationalsozialisten, Josenhans würde aus rein persönlichem Interesse handeln, wurden empört zurückgewiesen. Noch am Abend betonten rund 1.600 Kirchgänger, dass sie Josenhans und nicht Rieder als Dekan wünschten.

Der Vorfall hatte ein Nachspiel. Wegen „Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ ordnete die Württembergische Politische Polizei an, dass Josenhans Schorndorf bis auf weiteres verlassen müsse, was er auch tat. Zeitgleich verteidigte der Schorndorfer Kirchengemeinderat den Bedrängten in einem Schreiben an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerrl. Zudem suchte eine Delegation von 20 Schorndorfern Oberregierungsrat Dr. Ritter (in Stellvertretung des Reichsstatthalters Wilhelm Murr) in Stuttgart auf und betonte, dass die SA und nicht Dekan Josenhans die allgemeine Unruhe angerichtet habe. Ritter räumte ein, dass die Partei [NSDAP] einen Fehler gemacht habe, der Kirchenstreit aber nicht in die Öffentlichkeit getragen werden sollte, wie Josenhans es getan habe.

Parallel tadelte der Oberkirchenrat Württemberg den resoluten Kirchenmann für seine eigenmächtige Aktion, kritisierte zugleich die Einmischung staatlicherseits in innerkirchliche Fragen. Der Kampf um Josenhans zog sich über Wochen. Erst am 30. März 1936 konnte er nach Schorndorf zurückkehren und die Dekanstelle endgültig antreten. In einem Schreiben des Dekanatsamtes Schorndorf an den Oberkirchenrat hieß es abschließend: Die Lage sei ruhig, dessen Rückkehr stütze die Staatsautorität und Josenhans ließ verkünden, dass „er treu hinter dem Führer stehe.“ Ein Geist der Versöhnung wehe nun durch die Gemeinde, nicht zuletzt, da Ortsgruppenleiter Schaufler aus dem Kirchengemeinderat ausgetreten sei.

Der Konflikt zwischen Anpassung und Widerstand blieb unter den Gläubigen (und nicht nur in Schorndorf) jedoch auch weiterhin akut.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Der Schriftverkehr rund um den Fall Josenhans liegt im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart (A227 Personalakte Johannes Josenhans; Dekanatsarchiv Schorndorf Nr. 916; DA Schrondorf Nr. 1225).
  • Erika Schuster: Evangelische Kirche und Nationalsozialismus in Schorndorf 1933-1935 (=Heimatblätter. Jahrbuch für Schorndorf und Umgebung, Bd. 11), Schorndorf 1995.

/// Bereits morgen folgt der nächste Eintrag. Zurück in die Schule!

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