19. Oktober 1934 | Zwei Polizisten standen vor seiner Tür, Tag und Nacht. Um ihn zu schützen? Nein, Theophil Wurm wurde seit dem 9. Oktober 1934 in „Schutzhaft“ gehalten, in seinem Fall eine Art Hausarrest. Was war sein Vergehen gewesen?
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich der evangelische Pfarrer Wurm kurzzeitig in einem regionalem Ableger der völkischen DNVP engagiert und war dem neuen demokratischen Staat gegenüber sehr skeptisch geblieben. Das neue NS-Regime begrüßte der seit 1929 als württembergischer Kirchenpräsident waltende Wurm, nicht zuletzt dessen Kampf gegen den „gottlosen“ Marxismus fand seine Zustimmung.
Die evangelische Kirche im Reich begann sich rasch an der Haltung zu Hitlers Herrschaft zu entzweien. Zunächst war Theophil Wurm auf der Seite der „Deutschen Christen“ (D.C.), die sich Staatstreue und Deutschtum auf die Fahnen geschrieben hatten. Die stärker werdende Einmischung der Politik in Kirchenange-legenheiten trieb ihn in die Reihen der „Bekennenden Kirche“, der innerkirchlichen Opposition. Trotzdem versuchte sich der Landesbischof so gut wie möglich mit den Mächtigen zu arrangieren.
Dennoch wurde er in einer Art Putsch im Herbst 1934 von Anhängern der „Deutschen Christen“ in Württemberg seines Postens entbunden und festgesetzt. Das war zu viel: Am Sonntag, dem 21. Oktober, zogen zwischen 6.000 und 7.000 Personen nach dem Vormittagsgottesdienst zu Wurms Wohnhaus in der Stuttgarter Silberburgstraße 187. Sie sangen, sie beteten mit „ihrem“ Landesbischof. Jugendpfarrer Julius Eichler, Anhänger der „Bekennenden Kirche“, las aus der Bibel. Die Staatsmacht fühlte sich provoziert, wie Wurm zu berichten wusste:
„Er [Eichler] war mit der Verlesung noch nicht fertig, als zwei Schutzleute, von Hitlerjungen herbeigerufen, in die dichtgedrängte Menge eindrangen und mit erhobener blanker Waffe den Pfarrer herausholten […]. Den Pfuiruf, der da aufbrauste hätten Sie hören sollen! So will man wohl Neinsager gewinnen!“
Eichler wurde zur Polizeiwache gebracht, wohin sich auch die Proteste verlagerten. „Gebt unsere Pfarrer frei!“, skandierte die Menge nach der Verhaftung sechs weiterer Geistlicher. Die Politische Polizei, der Vorläufer der Gestapo, fotografiert die Menge für ihre Akten. Für Wilhelm Rehm, D.C.-Landesleiter Württemberg, war der wahre Urheber der „Wurmrebellion“ schnell ausgemacht: „Kommunistische und marxistische Kreise“, die „internationale Judenpresse“ und „staatsfeindliche Elemente“ – typische Phrasen der NS-Propaganda. Zwar wurde der Protest in der lokalen Presse totgeschwiegen, doch im Ausland fand das Ereignis ein solches Echo, dass sich Hitler genötigt sah, die Wiedereinsetzung Theophil Wurms als Landesbischof zu veranlassen.
Zum Weiterlesen und -forschen:
- LEO-BW: Die Biografie Theophil Wurms
- Joachim Botzenhardt: „Befreien Sie unserern Landesbischof aus seinem unwürdigen Hausarrest und Bewachung“, Blätter für Württembergische Kirchengeschichte (BWKG) Jg. 97 (1997) S. 129-155.
- Landeskrichliches Archiv Stuttgart: Nachlass Wurm (Bestand D 1), Aktenbunde Nr. 54 und 378.
/// Morgen geht es ums Ganze, um den Frieden. Bleiben Sie gespannt.
Welche Freude, landesgeschichtliche Kostbarkeiten so anschaulich und fachgerecht serviert zu bekommen! Aus diesen Puzzleteilen ergibt sich beilæufig nach und nach ein interessantes, weil differenziertes Bild unseres Bundeslandes.