Rein provisorisch? – Württemberg-Baden wählt seine Verfassunggebende Versammlung

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30. Juni 1946 | Die Menschen der Nachkriegszeit mussten lernen, mit Provisorien zu leben: Notdürftig wiederhergestellte Wohnungen, kurzzeitige Arbeitsstellen, ja sogar beim Backen wurde improvisiert, denkt man an Bucheckern- und Kartoffelmehlbrot. Dass es mit so etwas Wichtigem wie der Landesverfassung auch nur etwas Vorübergehendes werden würde, war eine Befürchtung vieler Menschen in Württemberg-Baden, wie einem Kommentar in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 3. Juli 1946 zu entnehmen war.

Stuttgarter Zeitung, 27. Juni 1946, S. 5 (Bildnachweis: HdGBW).

Woher die Unsicherheit? Seit Anfang 1946 kümmerte sich eine Vorläufige Volksvertretung, bestehend aus politischen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Kommunalvertretern, um den demokratischen Aufbau  in Württemberg-Baden. Über all dem wachte die US-amerikanische Militärregierung, die im Februar 1946 den nächsten Schritt anordnete: die Erarbeitung einer Landesverfassung, die zugleich keine Aussagen über die weitere Gestaltung einer gesamtdeutschen Zukunft enthalten dürfe. Dienstbeflissen machte sich eine Vorbereitende Verfassungskommission an die Arbeit und legte am 15. Juni einen Entwurf vor. Jedoch erst die Verfassunggebende Landesversammlung (VLV) sollte die abschließende Formulierung festlegen.

In Sitzen schlug sich das Ergebnis wie folgt nieder: CDU (41), SPD (32), DVP (17), KPD (10) (Bildnachweis: HdGBW).

Am 30. Juni 1946 waren die Wahlberechtigten in Württemberg-Baden aufgerufen, besagtes Gremium zu bestimmen. Zur Wahl standen CDU, SPD, die liberale Demokratische Volkspartei (DVP) und die KPD. Land und Stadt wurden mit Wahlwerbung und Kundgebungen überzogen. Auf einer CDU-Wahlversammlung in Uhingen appellierte der später in die VLV gewählte Göppinger Landrat Gotthold Brendle: „Nicht wählen heißt also, den Frieden sabotieren, die Wiederkehr der Ordnung verzögern.“ Die Christdemokraten machten sich für eine christliche Staatsauffassung mit Gottesbezug in der Verfassung stark und wollten dem „Totalitarismusanspruch der Diktatur ebenso wie [der] totalitäre[n] Demokratie“ entgegentreten, wie es Wilhelm Simpfendörfer, der spätere Präsident der VLV in einem Beitrag in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 22. Juni 1946 klarstellte. Damit wandte sich die CDU gegen die Forderungen der KPD, die das „uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht des Volkes“ durch möglichst direkte Mitbestimmung und den Verzicht auf den Staatsapparat vermeintlich zum Durchbruch verhelfen wollte. Als Zugpferd im Wahlkampf setzten die Kommunisten auf Richard Scheringer, jenen berühmten Reichswehrleutnant, der 1931 aus der NSDAP aus- und als Antifaschist in die KPD eingetreten war.

 

Auch die DVP bemühte die Erinnerungen an die Weimarer Republik und wies auf die Verdienste ihrer liberalen Vorgängerpartei hin, die als Teil der Landesregierung Württemberg für Stabilität gestanden hätte. Ihr Spitzenkandidat Reinhold Maier bezog sich positiv auf die Württembergische Verfassung von 1919: „Wir hatten gebauet ein stattliches Haus“, zitierte er ein liberales Studentenlied des 19. Jahrhunderts. Die SPD trat mit Forderungen nach einer volksnahen Rechtspflege, gerechten Löhnen und dem Recht auf Eigentum bei gleichzeitiger Verpflichtung des Wirtschaftens zum Wohle der Allgemeinheit an die Öffentlichkeit.

67,5 % der Wahlberechtigten stimmten ab und am 15. Juli traten die 100 gewählten Mitglieder der VLV in Stuttgart zusammen. In den kommenden Monaten entstand jener Verfassungsentwurf, der in einer Volksabstimmung am 24. November 1946 mehrheitlich angenommen wurde. Lange blieb die Verfassung allerdings nicht in Kraft: Bereits 1953 wurde sie von der baden-württembergischen Landesverfassung abgelöst – letztendlich also doch ein Provisorium.


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