Filderkraut statt Flughafen – die Schutzgemeinschaft Filder nimmt den Kampf auf

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31. Oktober 1967 | Der Schauspieler Louis de Funès setzte mit seinem kultigen Filmklamauk „Louis und die außerirdischen Kohlköpfe“ einer wahren Vitamin-C-Bombe ein Denkmal. Im Film waren Außerirdische von der Kohlsuppe zweier französischer Bauern dermaßen begeistert, dass sie zum Dank den beiden einen Alterswohnsitz auf einem fernen Planeten anboten, wo sie in Ruhe und Frieden leben konnten.

Nicht gewöhnlicher Kohl, sondern das edle Filderspitzkraut, und auch keine UFOs, sondern lärmende irdische Flugzeuge spielten Mitte der 1960er Jahre auf der Filderebene im Süden von Stuttgart eine Hauptrolle. Im Sommer 1967 wurde der Generalausbauplan für den Flughafen Stuttgart verkündet: Drei Landebahnen sollten bei Plieningen das Ländle an die „große weite Welt“ anbinden und interkontinentale Flugverbindungen ermöglichen. Doch wer neben dem bestehenden Flughafen wohnte, war bereits damals von Lärm und Abgasen geplagt und fürchtete eine massive Dauerbeschallung. Landwirte warnten vor einer Betonierung des fruchtbaren Filderbodens: Drohte das Ende des Filderkrautes und mit ihm der Landwirtschaft vor Ort?

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52 Aktive beschlossen in einer Versammlung in Plieningen, als „Schutzgemeinschaft gegen Großflughafen e.V“ den Kampf aufzunehmen. Bereits ein Jahr später war die Mitgliederzahl der Bürgerinitiative auf 5.000 angewachsen und ein erster Erfolg zu vermelden: Gemeinsam mit 22 Anliegerstädten und -gemeinden konnte ein Nachtstartverbot für moderne Düsenflugzeuge erstritten werden. In den Folgejahren stand die Bürgerinitiative  unter ihrer rührigen Vorsitzenden Liesel Hartenstein vor immer neuen Herausforderungen, sei es nun bei der Durchsetzung von Schallschutzmaßnahmen, der Abwehr weiterer Ausbaupläne des Flughafens und ab den 1990er Jahren beim Streit um den Neubau der Messe. Nicht immer waren die Spitzkrautfreunde erfolgreich, doch aufgeben kam nicht in Frage: 2017 feierte die Schutzgemeinschaft ihren 50. Geburtstag und ist damit die älteste existierende Umweltinitiative Deutschlands.


Zum Weiterlesen und -forschen:

/// Unser nächstes Kalenderblatt folgt am 4. November. Die Revolution nimmt Fahrt auf.

1918, der Südwesten erhebt sich (Teil 1) – Fritz Rück spricht Klartext

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24. Oktober 1918 | Deutschland im Oktober 1918: Hunger und Krieg und keine Aussicht auf Besserung. Im Gegenteil: Die Arbeiter der Zeppelinwerft in Friedrichshafen waren zu einem „Vaterländischen Erbauungsabend“ geladen, auf dem der SPD-Abgeordnete Paul Lensch seine Durchhalteparolen verbreiten wollte. Nicht eingeladen, dennoch anwesend war ein gewisser Fritz Rück aus Stuttgart. Mit seinen kritischen Einwürfen brachte er den Redner aus dem Konzept und den Saal zum Kochen, ein „Orkan von Beifall“ erhob sich. Rück war 1917 Mitglied der Spartakus-Gruppe geworden und führte ab Oktober 1917 die USPD in Württemberg, eine SPD-Abspaltung, die sich gegen die Fortsetzung des Krieges stark machte.

Demonstration Ende Oktober 1918 in Friedrichshafen (Bildnachweis: Kreisarchiv Bodenseekreis).
Demonstration Ende Oktober 1918 in Friedrichshafen (Bildnachweis: Kreisarchiv Bodenseekreis).

Dasitzen und abnicken, das war nicht sein Stil. So forderte Rück vom Redeleiter eine freie Aussprache nach dem Referat. „‚Hier gibt es keine Aussprache‘, fauchte der Oberingenieur. ‚Dann gehen wir!‘“, antwortete das Publikum. Ein Teil der Versammlung schritt durch die Tür und mit der Arbeitermarseillaise auf den Lippen zogen sie durch die dunklen Friedrichshafener Straßen. Auf dem Marktplatz redete nun Fritz Rück zu 400 Menschen: „Vom Rande eines Brunnentrogs aus entwickelte ich die Grundzüge des revolutionären Programms“, schreibt er in einer zeitnah erschienenen Erinnerungsschrift. Nieder mit dem Krieg, hoch die sozialistische Republik, so zwei Kernforderungen. Was zwei Tage vorher mit den Demonstrationen der Maybach-Arbeiter in Friedrichshafen begonnen hatte, nahm nun weiter Fahrt auf. Noch vor dem Aufstand der Kieler Matrosen Anfang November setzte die Arbeiterschaft im äußersten Südwesten ein Signal gegen Krieg und für die Revolution.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Die Erinnerungen Fritz Rücks an die Revolution im Südwesten, vgl. Fritz Rück: Schriften zur deutschen Novemberrevolution (=Beiträge zur Geschichte des Sozialismus und der sozialen Bewegung in Süddeutschland, Bd. II), hrsg. von Ulrich Cassel/u.a., Stuttgart 1978.
  • Elisabeth Benz: Ein halbes Leben für die Revolution. Fritz Rück (1895 – 1959). Eine politische Biografie, Essen 2014.
  • Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Vertrauensfragen. Der Anfang der Demokratie im Südwesten, 1918 – 1924. Katalog zur Großen Landesausstellung, Haus der Geschichte Baden-Württemberg, 30. September 2018 bis 11. August 2019, Stuttgart 2018.

/// Am 26. Oktober erscheint ein neues Kalenderblatt. Wieder geht es um einen Bahnhof, der die Gemüter erhitzt.

Hand in Hand zum Frieden – die Rekord-Menschenkette der Friedensbewegung

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22. Oktober 1983 | Im Atomzeitalter schien selbst Gevatter Tod seine alte Sense zur Seite gelegt zu haben und auf Atomwaffen umgestiegen zu sein. Anfang der 1980er Jahre war der Rüstungswettlauf zwischen den NATO-Staaten im Westen und den Staaten des Warschauer Vertrages im Osten auf einem neuen Höhepunkt angelangt. Atomwaffen befanden sich bereits seit Längerem auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik und der DDR. Aber jetzt sollten es noch mehr werden. Die Sowjetunion erneuerte ihre veralteten atomaren Mittelstreckenraketen durch die SS-20, die NATO sah darin eine zusätzliche Bedrohung und wollte mit den Waffensystemen Pershing II und Cruise Missiles nachziehen. Die Friedensbewegung in Westdeutschland blühte auf: Kirchen, Gewerkschaften, Ökogruppen, Jung und Alt fanden sich zu einer bunten Truppe zusammen, um ein Zeichen gegen die Nachrüstung zu setzen.

Des Volkes Stimme | Hand in Hand zum Frieden – die Rekord-Menschenkette der Friedensbewegung

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Im Oktober 1983 schwappte eine regelrechte Protestwelle durch den Südwesten. So verschrotteten beispielsweise über 600 Frauen in Freiburg symbolisch Raketenmodelle aus Pappmaché. Mehr als 1000 Personen, zumeist Jugendliche, besetzten in einem „Akt der aktiven Gewaltlosigkeit“ die Werkstore von „Litef“, einem Zulieferer für die großen Rüstungsbetriebe. Freiburger Schülerinnen und Schüler lösten große Diskussionen mit ihren Aufrufen in der Schulzeitung aus, für die Friedensproteste einfach mal zu schwänzen.

Höhepunkt der Demonstrationen war unzweifelhaft die Menschenkette  entlang der Bundestraße B10 zwischen Stuttgart und Neu-Ulm. Zwischen 200.000 und 400.000 Friedensbewegte standen Hand in Hand, sangen Lieder, zeigten Protestplakate. Kreativ, bunt und entschlossen war das Happening. Von überall her kamen sie. Auch 6.300 Menschen aus Südbaden reihten sich bei Plochingen ein, so friedlich, dass selbst ein mürrischer Wirt am Bahnhof nur halbherzig lästern konnte: „An Vogel habet se alle. Aber anständig waret se doch.“ (Badische Zeitung, 24. Oktober 1983).

Die Raketen kamen trotzdem.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Sabrina Müller: Volksversammlung als symbol und Appell: Die Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm am 22. Oktober 1983, in: Reinhold Weber (Hg.): Aufbruch, Protest und Provokation. Die bewegten 70er- und 80er-Jahre in Baden-Württemberg, Darmstadt 2013, S. 119-140.
  • Der Bildkorrespondent Udo Leuschner hielt die Menschenkette in Fotos fest.

/// Am 24. Oktober erscheint ein neues Kalenderblatt. Die Zeichen stehen auf Sturm!

Die „Wurmrebellion“ – Tausende protestieren für den abgesetzten Landesbischof Wurm

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19. Oktober 1934 | Zwei Polizisten standen vor seiner Tür, Tag und Nacht. Um ihn zu schützen? Nein, Theophil Wurm wurde seit dem 9. Oktober 1934 in „Schutzhaft“ gehalten, in seinem Fall eine Art Hausarrest. Was war sein Vergehen gewesen?

Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich der evangelische Pfarrer Wurm kurzzeitig in einem regionalem Ableger der völkischen DNVP engagiert und war dem neuen demokratischen Staat gegenüber sehr skeptisch geblieben. Das neue NS-Regime begrüßte der seit 1929 als württembergischer Kirchenpräsident waltende Wurm, nicht zuletzt dessen Kampf gegen den „gottlosen“ Marxismus fand seine Zustimmung.

Theophil Wurm Bildnachweis: Sammlung Weißhaupt, HdGBW
Theophil Wurm Bildnachweis: Sammlung Weißhaupt, HdGBW

Die evangelische Kirche im Reich begann sich rasch an der Haltung zu Hitlers Herrschaft zu entzweien. Zunächst war Theophil Wurm auf der Seite der „Deutschen Christen“ (D.C.), die sich Staatstreue und Deutschtum auf die Fahnen geschrieben hatten. Die stärker werdende Einmischung der Politik in Kirchenange-legenheiten trieb ihn in die Reihen der „Bekennenden Kirche“, der innerkirchlichen Opposition. Trotzdem versuchte sich der Landesbischof so gut wie möglich mit den Mächtigen zu arrangieren.

Dennoch wurde er in einer Art Putsch im Herbst 1934 von Anhängern der „Deutschen Christen“ in Württemberg seines Postens entbunden und festgesetzt. Das war zu viel: Am Sonntag, dem 21. Oktober, zogen zwischen 6.000 und 7.000 Personen nach dem Vormittagsgottesdienst zu Wurms Wohnhaus in der Stuttgarter Silberburgstraße 187. Sie sangen, sie beteten mit „ihrem“ Landesbischof. Jugendpfarrer Julius Eichler, Anhänger der „Bekennenden Kirche“, las aus der Bibel. Die Staatsmacht fühlte sich provoziert, wie Wurm zu berichten wusste:

„Er [Eichler] war mit der Verlesung noch nicht fertig, als zwei Schutzleute, von Hitlerjungen herbeigerufen, in die dichtgedrängte Menge eindrangen und mit erhobener blanker Waffe den Pfarrer herausholten […]. Den Pfuiruf, der da aufbrauste hätten Sie hören sollen! So will man wohl Neinsager gewinnen!“

 

Eichler wurde zur Polizeiwache gebracht, wohin sich auch die Proteste verlagerten. „Gebt unsere Pfarrer frei!“, skandierte die Menge nach der Verhaftung sechs weiterer Geistlicher. Die Politische Polizei, der Vorläufer der Gestapo, fotografiert die Menge für ihre Akten. Für Wilhelm Rehm, D.C.-Landesleiter Württemberg, war der wahre Urheber der „Wurmrebellion“ schnell ausgemacht: „Kommunistische und marxistische Kreise“, die „internationale Judenpresse“ und „staatsfeindliche Elemente“ – typische Phrasen der NS-Propaganda. Zwar wurde der Protest in der lokalen Presse totgeschwiegen, doch im Ausland fand das Ereignis ein solches Echo, dass sich Hitler genötigt sah, die Wiedereinsetzung Theophil Wurms als Landesbischof zu veranlassen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • LEO-BW: Die Biografie Theophil Wurms
  • Joachim Botzenhardt: „Befreien Sie unserern Landesbischof aus seinem unwürdigen Hausarrest und Bewachung“, Blätter für Württembergische Kirchengeschichte (BWKG) Jg. 97 (1997) S. 129-155.
  • Landeskrichliches Archiv Stuttgart: Nachlass Wurm  (Bestand D 1), Aktenbunde Nr. 54 und 378.

/// Morgen geht es ums Ganze, um den Frieden. Bleiben Sie gespannt.

 

„Schweineglück“ – Die badischen Direktwahlen von 1905

Ein Kommentar

19. Oktober 1905 | Großblock gegen Zentrum. Nicht auf dem Fußballplatz, sondern an der Wahlurne entschied sich im Oktober 1905 dieses badische Heimspiel. Die wahlrechtlichen „Spielregeln“ waren im Vorjahr geändert worden: Statt über Wahlmänner konnten die Badener nun direkt entscheiden, wer sie als Abgeordnete in der Zweiten Kammer vertreten sollte.

Des Volkes Stimme | „Schweineglück“ – Die badischen Wahlen von 1905

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Am 19. Oktober war es soweit: Mit rund 42% gewann die katholische Zentrumspartei vor den Nationalliberalen (30%) und der SPD (17%). Die notwendige Stichwahl in einigen Wahlbezirken drohte für die unterlegenen Parteien zum Debakel zu werden und dem Zentrum die absolute Mehrheit einzubringen. In der Not fanden sich die Sozialdemokraten mit den Nationalliberalen, den Demokraten und den Freisinnigen zum Wahlbündnis „Großblock“ zusammen. Mit Erfolg: 24 Abgeordnetensitze konnten die beteiligten Parteien am 28. Oktober holen, sodass das Zentrum mit 28 Abgeordneten zwar stärkste Kraft, die Nationalliberalen (23 Sitze), die Demokraten (5), die Freisinnigen (1) und die SPD (12) jedoch gemeinsam die politischen Entscheidungen in der Zweiten Kammer maßgeblich bestimmen konnten. Eine Liebeshochzeit war es dennoch nicht: Immer wieder kam es zu Streit über das Landesbudget, und auch innerhalb der SPD brachen trotz der allgemeinen reformorientierten Haltung der badischen Genossinnen und Genossen vermehrt Flügelkämpfe aus. 1913 zerbrach die Zweckgemeinschaft endgültig.


Direkt gewählt: Die Zweite Kammer Badens 1905
Direkt gewählt: Die Zweite Kammer Badens 1905 (Graphik: HdGBW/Hemberger).

Pinkelpausen am Fließband – ArbeiterInnen erstreiken die „Steinkühlerpause“

Ein Kommentar

16. Oktober 1973 | „Fließbandbaby, manchmal träum‘ ich, von der Fabrik, in der du arbeiten musst!“ Den Traum, den die Kölner Politrockband Floh de Cologne in einem ihrer Stücke besang, war auch für die Gewerkschaften ein echter Albtraum. Immer schneller lief das Band, immer mehr musste in immer kürzerer Zeit fertigwerden, und selbst beim Gang zur Toilette gängelte die Stoppuhr. Die Unzufriedenheit wuchs unter den Arbeiterinnen und Arbeitern und entlud sich nicht zuletzt im Jahr 1973 in spontanen „Wilden Streiks“. Die Verhandlungen der IG-Metall mit dem Metallarbeitgeberverband zog sich seit 1970 dahin. Forderungen der Gewerkschaft nach einer „Humanisierung der Fabrikarbeit“ lehnte die Unternehmerseite strikt ab: „Hirngespinste!“, so der Vorwurf.

Des Volkes Stimme | Pinkelpausen am Fließband – mehr Humanität am Arbeitsplatz

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1972 übernahm Franz Steinkühler als „junger Wilder“ den Vorsitz des IG-Metallbezirks Stuttgart vom Gewerkschafts-Urgestein Willi Bleicher – und schaltete in der Automobilstadt in den Turbo. Am Morgen des 16. Oktobers ging in den großen Werken der Automobilindustrie nichts mehr. 89 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder hatten sich für Schwerpunktstreiks ausgesprochen, an denen sich bis zu 57.000 Menschen beteiligten. Vier Tage später war der „Lohnrahmentarifvertrag II“ unter Dach und Fach. Darin festgelegt waren höhere Löhne sowie die allgemeine Verbesserung der Arbeitsbedingungen am Fließband. Als Dreingabe gab es für Akkordbeschäftigte fünf Minuten Pause (die berühmte „Steinkühlerpause“) und drei Minuten für den Gang zum stillen Örtchen pro Stunde extra.

Steinkühler jubelte: „Wenn in Zukunft jemand Sonntagsreden über die Qualität des Lebens hält, können wir ihm zeigen, wie man sie erkämpfen kann. In jeder Stunde hat jetzt der Arbeiter Zeit für sich! Es gibt keine entwürdigenden Stoppuhren mehr, wenn er auf’s Örtchen geht!“ (IGM-Streiknachrichten, 23. Oktober 1973)

Des Volkes Stimme | Pinkelpausen am Fließband – Streik für die „Steinkühlerpause“

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Zum Weiterlesen und -forschen:

/// HäuslebauerInnen kommen morgen auf ihre Kosten. Wir öffnen Ihnen ein Fenster.

Dr. K. hat es geschafft – das Gesetz zur Gleichstellung der Juden in Baden

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4. Oktober 1862 | Dr. K. aus K. hatte es geschafft: Student der Rechtswissenschaften in Heidelberg und München, anschließend Rechtsanwalt, der unter anderem einen Revoluzzer vor der Todesstrafe bewahren konnte. Auch politisch lief es für K. rund, konnte er doch als Liberaler einen Posten als Abgeordneter in Karlsruhe erkämpfen. Und doch grübelte Dr. K.: Wie viel einfacher wäre es gewesen, wenn ich nicht als Jude geboren worden wäre?

Portrait Rudolf Kusels (Bildnachweis: Bestand Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS III 843)

Am 25. April 1862 berieten die Abgeordneten der Zweiten Kammer des Großherzogtums Badens das „Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten“. Dr. Rudolf Kusel aus Karlsruhe ergriff das Wort: „Nicht als Jude, sondern als Abgeordneter spreche er. […] Die Juden sind keine Fremdlinge, wie behauptet wurde; […] sie erkennen kein anderes Vaterland an, als Deutschland. Sie verlangen keine Gnade, nur Gerechtigkeit […]. Die badische Kammer wird heute […] es aussprechen, dass in diesem gesegneten Lande wegen seines Glaubens Niemand in seinem bürgerlichen Rechte beschränkt, Niemand mehr unfrei sein soll.“

Vor dem „Konstitutionsedikt“ von 1809 war es den badischen Juden als „Schutzbürger“ sogar verboten, ihren Wohnort frei zu wählen. Nun wurden ihnen erste Bürgerrechte zugesprochen, sie durften ab 1848 in den Staatsdienst eintreten und als Abgeordnete gewählt werden. Jedoch zog erst im Jahre 1861 Dr. Kusel als erster jüdischer Abgeordnete in die Zweite Kammer ein. Am 4. Oktober 1862 unterzeichnete Großherzog Friedrich das maßgeblich vom liberalen Staatsminister August Lamey erarbeitete Gleichstellungsgesetz. Damit erhielten die badischen Juden sämtliche gemeindebürgerlichen Rechte zugesprochen, die ihnen bis dato verwehrt geblieben waren, beispielsweise die Armenversorgung durch die Gemeinde.

So wurde aus Dr. K. der badische Bürger Dr. Rudolf Kusel.


Zum Weiterlesen und -forschen:

/// Bereits morgen folgen das nächste Onlinekalenderblatt und noch mehr Bürgerrechte.

Erst stirbt der Wald, dann du? – Aktionswoche gegen das Waldsterben

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02. Oktober 1983 | Er war sauer, sogar richtig ätzend. Die Rede ist vom Regen, der in den 1970er und 80er Jahren nicht zuletzt zwischen Freudenstadt und Freiburg auf den vielgerühmten und besungenen Schwarzwald niederging. „Rauchfahnen aus Kaminen wehn – Von Lörrach bis nach Zell!“: Was in einer Version des Badnerlieds noch stolz besungen wurde, rückte immer stärker in den Fokus der Kritik. Schwefeldioxid aus den Schornsteinen von Industrie und Wohnhäusern war mit der Grund, dass der Touristenmagnet, Erholungs- und Lebensraum schon bald „aus dem letzten Loch pfiff.“

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Diesen Zustand wollten Umweltverbände wie die „Freudenstädter Aktionseinheit“ nicht hinnehmen und riefen zur Aktionskonferenz gegen das Waldsterben nach Freudenstadt. Mit einer ungewöhnlichen Idee bewegten UmweltschützerInnen zahlreiche Bundestagsabgeordnete, die Schäden vor Ort in Augenschein zu nehmen.

Die Bilanz der anschließenden Veränderungen ist durchwachsen: Luftverschmutzungsnormen wurden verschärft und ein jährlicher Waldschadensbericht dokumentierte fortan, wie es um Fichte, Tanne und Co steht. Doch schon die nächste Bedrohung bereitet heute Kopfzerbrechen: der Klimawandel.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt BW: Die Waldzustandsberichte seit 2002 online.
  • Nobert F. Pötzl: „Nadeln fallen grad so raus“, in: DER SPIEGEL Jg. 1984), H. 51 , S. 36-56 [Digitalisat].
  • Stadtarchiv Freudenstadt: Signatur: N 2.10 Aktionseinheit gegen das Waldsterben.
  • Generallandesarchiv Karlsruhe: Signatur: 392 Freudenstadt Nr. 146.

|||  Am 04. Oktober erscheint der nächste Eintrag: Dr. K. aus K. wird Bürger.

Freier Platz oder Moderne? – das Bürgerbegehren zum Bau des Stadthauses Ulm

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20. September 1987 | Über Geschmack wollten sich die Ulmerinnen und Ulmer gerne streiten, als im Jahre 1986 der endgültige Entwurf für ein Stadthaus auf dem weitläufigen Münsterplatz feststand. Direkt neben dem höchsten Kirchturm der Welt sollte ein moderner Bau, ganz in Weiß gehalten, Raum für Kunst, Kultur und Begegnung bieten. Ulms Öffentlichkeit war gespalten: Zwischen Lob und „Des braucha mir ned!“ schwankten die Meinungen über Richard Meiers Entwurf.

Dies zeigt, wie schwer es die Gegenwartsarchitektur in der Traditionsstadt doch hatte, allen weltgewandten Impulsen der bis 1968 hier ansässigen Hochschule für Gestaltung (HfG), dem Nachfolger der Bauhausschule, zum Trotz. Doch als es um die „Gute Stube“ Ulm ging, durfte die Meinung der Einwohnerschaft keinesfalls ungehört bleiben. Der vom Verein „Alt-Ulm“ eingeforderte Bürgerentscheid verfehlte allerdings das notwendige Quorum und im Jahre 1993 öffnete das Stadthaus seine Pforten.

Des Volkes Stimme | Bürgerbegehren Ulmer Münsterplatz 1987

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Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Anja Göbel/u.a.: Stadthaus Ulm, 2. Auflage, Ulm 2005.
  • Stadthaus Ulm: Homepage.

||| Lust auf mehr? Der nächste Eintrag erscheint schon morgen.

Einer für alle, alle für einen! Der Gewerkschaftsbund Württemberg-Baden wird gegründet

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1. September 1946 | Eine Waffenschmiede zum Nutzen der arbeitenden Bevölkerung und zum Wohle der Allgemeinheit solle er werden, dieser erste Bundestag des Gewerkschaftsbundes Württemberg-Baden (GWB) in den Räumen der Salamander-Schuhfabrik in Kornwestheim. Mit diesen eröffnenden Worten brachte Markus Schleicher, erster Präsident des GWB, die Hoffnungen der 163 anwesenden Delegierten auf den Punkt: Nach den Schrecken der NS-Zeit, in der zahlreiche Gewerkschaftsmitglieder als KZ-Häftlinge den Tod fanden, sollten nun wieder freie, demokratische Gewerkschaften die Interessen ihrer Mitglieder (damaliger Stand in Württemberg-Baden: ca. 260.000 Personen) vertreten. Und dies nicht nur bei Lohn- und Arbeitsfragen, sondern in allen sozialen und kulturellen Streitfragen. Selbstverständlich auf Augenhöhe mit dem Unternehmertum und den politischen VertreterInnen.

 

Ziel war eine sichere Zukunft ohne Rückwärtsgang: Das Aufkeimen eines neuen Faschismus sollte unmöglich werden: „Die Gewerkschaften kämpfen für die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaft. Ihr Endziel ist eine sozialistische Wirtschaft.“ Planwirtschaftliche Konzepte sollten Krisen, wie sie mit zum Aufstieg der NSDAP führten, verhindern helfen. An den realen Besitzverhältnissen änderte sich den vielsagenden Absichtserklärungen zum Trotz jedoch nur wenig. Größere und kleinere Streiks, Basisarbeit in den Betrieben und Mitgliederberatungen bestimmten fortan den steinigen Alltag der Gewerkschaften im Südwesten.

Am 1. September 1946 schloss der Kongress mit der Wahl Markus Schleichers zum ersten Präsidenten des GWB. Ein Jahr vor seinem Tode wurde er im Jahr 1950 an die Spitze dessen Nachfolgers, des DGB-Landesverbands Württemberg-Baden, gewählt.

Wir danken dem Archiv der sozialen Demokratie sowie der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung (Bonn) für die Bereitstellung des Quellenmaterials.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Christian Seifert: Entstehung und Entwicklung des Gewerkschaftsbundes Württemberg-Baden bis zur Gründung des DGB, 1945 bis 1949, Marburg 1980.
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