Republik oder nicht (Teil 2) – Hecker legt los

Schreiben Sie einen Kommentar!

12. April 1848 | Vom Bodensee aus wollte Friedrich Hecker doch noch alles retten. In Konstanz sollte die große „republikanische Schilderhebung“ erfolgen, die den großen Durchbruch bringen sollte. Die Stadt galt als die Hochburg der Opposition, hier waren die „entschlossenen Kräfte“ seit Jahren in der Mehrheit.  Wo sonst würden ihm die Massen folgen – wenn nicht hier?

Wochen der Euphorie und der Ernüchterung lagen hinter Hecker, als er am See eintraf. Eine Welle der Begeisterung hatte ihn nach der Offenburger Volksversammlung vom 19. März durch das Land getragen. Der Erfolg der Revolution lag nahe. Das neue Bürgerwehrgesetz stammte aus seiner Feder, die Zweite Kammer in Karlsruhe folgte ihm aufs Wort.  Voller Zuversicht fuhr er nach Frankfurt, wo Abgeordnete aus allen deutschen Staaten zu einem nationalen Vorparlament zusammentrafen. Dort wollte er die Weichen stellen für eine schnelle Abschaffung der erblichen Monarchie und eine tiefgreifende soziale Reform.

Aber die Mehrheit des Vorparlamentes hatte das anders gesehen. Sie bezweifelte die Kompetenz der Abgeordneten, so weitreichende Entscheidungen zu treffen. Heckers Vorstellung, die Versammlung solle sich als „Geschäftsführer der Nation“ verstehen und sich für permanent erklären, scheiterte dramatisch mit 148 zu 368 Stimmen. Bei der Wahl zum Fünfziger-Ausschuss, der nationale Wahlen vorbereiten sollte, landete Hecker auf dem 51. und Gustav Struve auf dem 62. Platz. Eines war jetzt klar: „Legal revolutionär“ ließ sich die Republik nicht verwirklichen. Nachdem sein Freund Joseph Fickler, Anführer der südbadischen Republikaner, kurz darauf auf dem Karlsruher Bahnhof verhaftet worden war, gab es kein Zögern mehr. Überstürzt reiste Hecker über Frankreich und die Schweiz nach Konstanz.

Einem badischen Revolutionär ist nichts zu schwer: Hecker in Montur (Zeitgenössische Lithografie; Bearb.: HdG BW/Hemberger).
Einem badischen Revolutionär ist nichts zu schwer: Hecker in voller Montur (Zeitgenössische Lithografie; Bearb.: HdG BW/Hemberger).

Aber auch in Konstanz lief nicht alles nach Plan. Entgegen seiner Erwartung empfingen ihn die örtlichen Republikaner nicht mit ungeteilter Begeisterung. Hecker kämpfte: Von seinem Quartier im „Badischen Hof“ verfasste er in der Nacht zum 12. April einen flammenden Appell: „Sieg oder Tod für die deutsche Republik!“ Eine „provisorische Regierung“ forderte die Behörden zum Gehorsam auf. Auf einer Volksversammlung am Nachmittag warb er zwar eindringlich für den Umsturz, doch Bürgermeister Karl Hüetlin stellte sich ihm entgegen. Und auch die Konstanzer Bürgerwehr verweigerte sich in ihrer Mehrheit einer Teilnahme: Am frühen Morgen des 13. April zeigten sich nur rund 50 Mann bereit, mit Hecker loszuziehen.

Das klägliche Ende der Unternehmung war absehbar.


/// Aber am 13. April siegt die Republik doch noch – allerdings ein paar Jahre später.

Psst, geheim – das württembergische Wahlgesetz wird reformiert

Ein Kommentar

26. März 1868 | „Nach §. 143 wird folgender Paragraph eingeschaltet: „Die Wahlen erfolgen durch geheime Stimmgebung.“ So spröde sich ein zentraler Satz der württembergischen Wahlrechtsreform von 1868 liest, so bewegt war die Zeit, in welcher er formuliert worden war. Vier Jahre zuvor war Württembergs langjähriger Potentat, Wilhelm I. verstorben, der zwar weitgehend verfassungstreu regiert hatte, jedoch im Grunde seines Wesens ein autoritär Handelnder gewesen war. Den Staffelstab an der Spitze des Ländles übernahm sein Sohn Karl, dessen weicherer Charakter durch kommende machtpolitische Krisen und Entscheidungen aufgerieben wurde. In der großen militärischen Entscheidungsschlacht von Königsgrätz zwischen dem aufstrebenden Preußen und Österreich im Jahre 1866 hatte sich Württemberg auf die Seite des südlichen Nachbarn geschlagen. Ein strategischer Fehler, der letztendlich die Souveränität Württembergs vollends abschmelzen ließ. König und Regierung sahen sich gezwungen, dem von Preußen dominierten Norddeutschen Bund und dem zunächst geheimen „Schutz und Trutzbündnis“ beizutreten.

Ein Zentrum würrtembergischer Politik des 19. Jahrhunderts: Das Stuttgarter Ständehaus (Bildnachweis: Marbacher Literaturarchiv/Dt. Schillergesellschaft)
Ein Zentrum württembergischer Politik des 19. Jahrhunderts: Das Stuttgarter Ständehaus (Bildnachweis: Marbacher Literaturarchiv/Dt. Schillergesellschaft).

Auch innenpolitisch war einiges in Bewegung geraten: Kurz nach Königsgrätz war die Deutsche Partei gegründet worden, welche die eingeleitete Entwicklung begrüßte. Als auf Bismarcks Betreiben hin die süddeutschen Länder in der Zollverein integriert wurden, waren besonders die dadurch bevorteilten schwäbischen Unternehmer vom indirekten Abgesang württembergischer Eigenständigkeit angetan – Stichwort: freier Warenverkehr. Zugleich nutzte die wachsende Arbeiterbewegung die deutsche Einigung, um Kräfte zu bündeln und mit der sozialdemokratischen Partei den Kampf für den Sozialismus und um die Parlamente aufzunehmen.

Am 26. März 1868 wurde das Wahlgesetz in Württemberg mit den übrigen Staaten des Norddeutschen Bundes – exklusive Preußen – in Einklang gebracht. Das bedeutete fortan, dass auch im Reiche König Karls die Zweite Kammer direkt, geheim und gleich gewählt wurde. Der alte einschränkende Passus, dass nur Steuerzahler das Wahlrecht ausüben dürfen, entfiel somit; Frauen blieb jedoch das Recht auf demokratische Mitbestimmung bis nach der Revolution von 1918/19 verwehrt.

Die Reform brachte dem Wahlvolk ein kleines Plus an Mitbestimmung, ließ in weiten Teilen allerdings Wünsche offen. Beispielhaft dafür: „Art. 25 Die Wähler erhalten weder für Zeitversäumnis, noch für Zehrungs- und Reiseaufwand eine Entschädigung.“

Eigentlich schade, oder?


Zum Weiterlesen und -forschen:

/// Eine Beerdigung wird zum stillen Protest: Mehr hierzu am 3. April.

Republik oder nicht? – die erste Volksversammlung in Offenburg

3 Kommentare

19. März 1848 | An diesem Tag trat die Revolution in ihrer ganzen Pracht auf die Straße.  Ein paar Monate zuvor, am 12. September 1847, hatten sich die „entschiedenen Freunde der Verfassung“ im Offenburger Gasthaus „Salmen“ hinter Weinflaschen verstecken müssen. Und noch am 27. Februar 1848 hatten die Mannheimer ihre Forderungen nur in der Aula erheben können. Aber nun gab es kein Halten mehr. Ganz Offenburg zeigte sich am 19. März in Schwarz-Rot-Gold. Die Bauern aus der Ortenau kamen mit ihren schönsten Pferden, auf ihren Sonntagsanzügen prangten die schwarz-rot-goldenen Schärpen. Mit Jubel begrüßten die Menschen die eintreffenden Fuhrwerke. Die überfüllten Züge brachten begeisterte Menschen aus dem ganzen Großherzogtum in die badische Hauptstadt der Revolution. Zum Beginn der großen Versammlung drängten sich rund 20.000 Menschen auf dem Platz vor dem geschmückten Rathaus. Es sollte ein Volksfest für die Freiheit werden.

Die Menschen warteten vor allem auf einen Mann. Geschmückt mit einer roten Schärpe hatte Friedrich Hecker von einem Balkon aus die Menschen begrüßt. Seit seinen brillanten Auftritten im Landtag und im „Salmen“ galt er als der charismatische Anführer der entschiedenen Opposition. Jetzt, an diesem 19. März 1848, kam es auf ihn an. Alle wollten wissen, wie es nach den ersten Tagen der Revolution weitergehen sollte. Würde Hecker zum Sturz der Regierung aufrufen? Würde Hecker die deutsche Republik verkünden?

Des Volkes Stimme | Die große Volksversammlung in Offenburg

Für die Wiedergabe des YouTube-Videos auf den Play-Button klicken. Dadurch erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt werden. Mehr Informationen und die Datenschutzerklärung von Google finden Sie unter https://policies.google.com/privacy?hl=de.

Die führenden Männer der Opposition zögerten bei der Frage nach der Republik. Gab es dafür wirklich genügend Unterstützung in der Bevölkerung? Reichten die Vorbereitungen aus? Sollte nicht ein deutsches Parlament die Entscheidung treffen? Hecker selbst war unentschlossen. In einer Beratung im Offenburger Rathaus vor der Volksversammlung wurden zunächst nur weitreichende demokratische Forderungen formuliert und der Aufbau einer landesweiten Organisation von demokratischen Vereinen beschlossen. Dann kam der große Augenblick. Hecker trat auf den Balkon des Rathauses. Wie immer hielt er eine feurige Rede. Der Jubel war gewaltig. Aber die Ausrufung der Republik fehlte. Im Gegenteil, Hecker soll Joseph Fickler während dessen Rede mit der Waffe in der Hand davon abgehalten haben, das Wort Republik in den Mund zu nehmen.

Kurze Zeit nach Ende der Volksversammlung trafen die Nachrichten von der erfolgreichen Revolution in Wien und Berlin in Baden ein. Jetzt war klar: In Offenburg war eine Chance verpasst worden.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Franz X. Vollmer: Offenburg 1848/49: Ereignisse und Lebensbilder aus einem Zentrum der badischen Revolution, Karlsruhe 1997.
  • Kurt Hochstuhl: Friedrich Hecker. Revolutionär und Demokrat, Stuttgart 2011.
  • LEO-BW: Sammlung von Schriften, zeitgenössischen Drucken und Dokumenten zu Friedrich Hecker.
  • Ludwig Vögely: Aus Offenburgs großer Zeit. Die Offenburger Versammlungen 1847 – 1849, in: Badische Heimat Jg. 60 (1980), S. 379-397.
  • Landeszentrale für politische Bildung BW: Erinnerungsorte Offenburg und Rastatt 1847-49.

    /// Mit der Republik dauert es noch ein bisschen. Am 21. März wird erst einmal über die Hangweide im Remstal gesprochen.

Dramatischer Frühlingsbeginn – Friedrich Römer und das Märzministerium

Schreiben Sie einen Kommentar!

9. März 1848 | Seine Königliche Majestät geruhten, die Martinskaplanei in Ravensburg dem Präzeptorats-Kaplaneiverweser Beyerle aus Horb zu übertragen. Das Regierungsblatt für das Königreich Württemberg machte es an diesem 10. März besonders spannend. Erst als auch noch die Kapläne Hummel und Epple ihre verdienten Posten in Altshausen und Neukirch erhalten hatten, folgte auf der zweiten Seite die wirklich bahnbrechende Nachricht: König Wilhelm hatte am 9. März den seit 1832 die Regierungspolitik bestimmenden konservativen Innen- und Kultusminister Johannes von Schlayer des Amtes enthoben und durch den hochangesehenen Anführer der Liberalen in der Zweiten Kammer, Friedrich Römer, ersetzt.

Er nutzte die Gunst der Stunde: Friedrich Römer (Bildnachweis: Stadtarchiv Stuttgart; Bearb,: HdG BW/Hemberger).
Er nutzte die Gunst der Stunde: Friedrich Römer (Einfärbungen.: HdG BW/Hemberger).

Hinter den nüchternen Worten des Regierungsblatts verbargen sich dramatische Ereignisse. Der Regierungswechsel vom 9. März war der fast schon verzweifelte Versuch des Königs, die Kontrolle über sein Land zurückzugewinnen. Auf die Mannheimer Forderungen vom 27. Februar hatte Wilhelm bereits schnell reagiert und am 1. März die Aufhebung der Zensur angeordnet. Aber die Tübinger Adresse und die fast überall im Königreich stattfindenden spontanen Volksversammlungen machten deutlich, dass es damit nicht getan war. Am Abend des 5. März eskalierte die Situation: Bis zu 20 Männer drangen in das Kanzleiamtsgebäude von Schloss Haltenbergstetten bei Niederstetten ein und legten Feuer. Die Meldung vom Angriff auf das Schloss wirkte wie ein Fanal. Zusammen mit anderen Nachrichten von Unruhen der Bauern wähnten sich manche Zeitgenossen bereits „in die Zeit des Bauernkriegs“ versetzt. Wilhelm entschloss sich am 6. März zum Handeln und entließ Schlayer, allerdings wollte er ihn durch den nicht weniger konservativen Joseph von Linden ersetzen. Aber scharfe Proteste in der Öffentlichkeit beendeten die Amtszeit von Lindens bereits nach wenigen Stunden. Drei Tage später blieb dem König keine andere Wahl mehr als dem Oppositionsführer Friedrich Römer die Regierungsgeschäfte zu übertragen.

Römer bildete mit seinen Mitstreitern Gustav Duvernoy, Paul Pfizer und Adolph Goppelt das liberale „Märzministerium“. Schnell und entschieden packte es die lange liegen gebliebenen Aufgaben an, um das Land weitreichend zu modernisieren. So gelang es, einen „heißen Frühling“ zu verhindern – und Wilhelm konnte auf seinem Thron bleiben.


/// Herr Otto Mohl fühlt sich dort unwohl. Wo – das verrät unser Kalender morgen.

 

Demokratie ganz groß – Ludwig Uhland und die 48er Revolution

Schreiben Sie einen Kommentar!

2. März 1848 | „Der Sturm, der in die Zeit gefahren ist, hat die politischen Zustände Deutschlands in ihrer ganzen unseligen Gestalt, Allen erkennbar bloßgelegt.“ Was in Mannheim noch nüchtern formuliert worden war, klang in Tübingen am 2. März 1848 bedeutend anspruchsvoller. So einen Satz konnte nur ein wahrer Dichter schreiben: Ludwig Uhland.

Eigentlich hatte sich Uhland vorgenommen, sich nicht mehr politisch zu engagieren. Zu enttäuschend waren seine Erfahrungen im württembergischen Landtag gewesen, dem er 1838 den Rücken gekehrt hatte. Aber als am 1. März 1848 die Nachrichten aus Mannheim auch am oberen Neckar angekommen waren und für erhebliche Aufregung gesorgt hatten, konnte er sich nicht mehr länger heraus halten. Burschenschaftler und die ehemaligen Kollegen von der Universität, die Professoren Reyscher, Volz und Fallati, bedrängten ihn, eine „Tübinger Adresse“ an den ständischen Ausschuss des Landtags zu schicken.

Des Volkes Stimme | Demokratie ganz groß – Ludwig Uhland und die 48er Revolution

Für die Wiedergabe des YouTube-Videos auf den Play-Button klicken. Dadurch erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt werden. Mehr Informationen und die Datenschutzerklärung von Google finden Sie unter https://policies.google.com/privacy?hl=de.

Nachdem am Morgen des 2. März noch eine Endredaktion stattgefunden hatte, wurde der Text am Nachmittag im akademischen Reithaus der Öffentlichkeit vorgestellt. Im größten Saal der Stadt jubelten bis zu 1.000 Bürger und Studenten Uhland zu, als er persönlich die Adresse vorlas. Zum  Abschluss sangen alle das von Uhland 1816 gedichtete Freiheitslied „Wenn heut ein Geist herniederstiege“.  Am Abend wurde die mit mehr als tausend Unterschriften versehene Adresse nach Stuttgart geschickt. Flugblätter verbreiteten den Text und am 6. März druckte die Zeitung „Der Beobachter“ die Adresse vollständig ab.

Drei Farben, eine Republik: Ludwig Uhland (Bearb. HdGBW/Hemberger)
Drei Farben, eine Republik: Ludwig Uhland (Bearb. HdGBW/Hemberger)

Die Tübinger Adresse wurde zum Wegweiser der Revolution in Württemberg. Sie folgte im wesentlichen den in Mannheim erhobenen Kernforderungen nach einem deutschen Parlament, der Volksbewaffnung im Sinne einer Bürgermiliz, der vollen Pressefreiheit und einer Justizreform. Aber Uhland ging noch weiter und machte daraus ein demokratisches Bekenntnis: „Das große Grundgebrechen unseres deutschen Gesamtvaterlandes lässt sich in wenige Worte fassen; es fehlt die volksmässige Grundlage, die freie Selbsttätigkeit des Volks, die Mitwirkung seiner Einsichten und Gesinnungen bei der Bestimmung seines staatlichen Lebens.“

Besser konnte es nicht gesagt werden!


Zum Weiterlesen und -forschen:

/// Morgen will ein Rebell aus dem Remstal Oberbürgermeister von Hall werden.

Eine große Zeitung aus Freiburg – der „Freisinnige“ und die Pressefreiheit

Ein Kommentar

1. März 1832 | Wie lautete noch einmal die Erkenntnis unseres Beitrags vom 12. Februar? Ein gutes Gesetz allein genügt nicht! Das war exakt auch die Überzeugung der badischen Liberalen im Jahr 1831. Der Landtag in Karlsruhe hatte am 24. Dezember 1831 ein sensationell freizügiges Pressegesetz verabschiedet: Obwohl im Deutschen Bund die Vorzensur für alle Zeitungen und dünnere Bücher zwingend vorgeschrieben war, wagte es das Großherzogtum, einen anderen Weg einzuschlagen. Durch viel Geschick hatten die liberalen Anführer Carl von Rotteck und Carl Welcker ein Gesetz durchgesetzt, das anscheinend dem Vorgaben des Bundes entsprach, de facto aber das System der Vorzensur ins Leere laufen ließ: Kein Redakteur musste mehr seine Artikel einem Beamten zur Genehmigung vorlegen, stattdessen mussten sich die Schreiber künftig nur noch vor Gerichten für den Inhalt ihrer Blätter verantworten.

Ganz schön freisinnig: Carl von Rotteck (Bearb. HdGBW/Hemberger)
Ganz schön freisinnig: Carl von Rotteck (Bearb. HdGBW/Hemberger)

Noch während um das Gesetz gerungen wurde, entstand in Freiburg der Plan, die Probe auf das Exempel zu machen. Der Chemieprofessor Carl Fromherz schrieb seinem Professorenkollegen Rotteck am 11. November, in Freiburg solle unter dem Titel „Der Freisinnige“ eine neue Tageszeitung gegründet werden. Wenn Rotteck,  Welcker und einige andere Landtagshelden mitmachen würden, sei der Erfolg garantiert. Schließlich müsse das Gesetz zum Leben erweckt werden. Bei Rotteck fand Fromherz offene Ohren. Schon im Landtag war vor den „verdorbenen Studenten“ gewarnt worden, die das Gesetz missbrauchen könnten. Die Abgeordneten selbst würden die neue Freiheit gewissenhaft nutzen. Zumal sie dringend eine Zeitung benötigten. Ohne eigenes Sprachrohr blieben die Liberalen trotz ihrer momentanen Mehrheit im Landtag letztlich isoliert. Öffentlichkeit herstellen war das Gebot der Stunde.

"Preßfreiheit", ein hohes Gut. Bereits 1832 kosteten die Badener die Früchte dieses Grundrechts.
„Preßfreiheit“, ein hohes Gut. Bereits 1832 kosteten die Badener die Früchte dieses Grundrechts. Hier zu sehen: Das Titelblatt der Erstausgabe des „Freisinnigen“ (Bildnachweis: HdGBW).

Die Freiburger Bürgerschaft entwickelte das Modell für die neue Kommunikation: 28 Bürger – unter ihnen „eine Reihe der achtbarsten Männer der Stadt“ – zeichneten als Aktionäre mit jeweils 100 Gulden das Startkapital der Zeitung. Dies reichte aus, um am 1. März, dem Beginn der Pressefreiheit, die erste Ausgabe der Zeitung herauszugeben. Das Format der Zeitung war riesig und auch sonst waren die Professoren, die die Pariser Blätter als Vorbild nahmen, nicht bescheiden: „Der Freisinnige widmet seine Kräfte der großen Sache der Konstitution in ganz Deutschland.“ Mit Ausdauer umwarben Rotteck und Welcker die große „Edelfeder“ Ludwig Börne in Paris, allein dessen Honorarvorstellungen überstiegen das Freiburger Budget bei weitem.

Der Erfolg war zunächst beachtlich. Über 2.000 Abonnements sicherten das Überleben. Doch der Deutsche Bund war mehr als verärgert über die badische Eigenmächtigkeit und die ständigen Belehrungen aus Freiburg. Eine Untersuchung gegen den „Freisinnigen“ und die ebenfalls neue Mannheimer Zeitung „Der Wächter am Rhein“ kam zu einem wenig überraschenden Ergebnis:  Der „Freisinnige“ sei „gleich verderblich, aufrührerisch und beleidigend“ wie der „Wächter“, beide Zeitungen wurden verboten. Am 25. Juli 1832 erschien in Freiburg die letzte Ausgabe eines großen Projektes. Auch das Pressegesetz musste aufgehoben werden, am 30. Juli kehrte die Zensur zurück.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Universitätsbibliothek Freiburg: Digitalisat „Der Freisinnige“
  • Rainer Schimpf: Der „Freisinnige“ und der Kampf der badischen Liberalen für die Pressefreiheit 1831/32, in: Helmut Reinalter (Hrsg.): Die Anfänge des Liberalismus und der Demokratie in Deutschland und Österreich 1830–1848/49, Frankfurt a. M. 2002, S. 157–190 [Digitalisat].

/// Und morgen fährt der Sturm in die Zeit, natürlich in Tübingen, wo sonst?

Die Revolution aus der Aula – die Mannheimer Forderungen

2 Kommentare

27. Februar 1848 I Hatten die Badener nicht schon genügend Partizipation? Die großzügige Verfassung, der frei gewählte Landtag und die umfassenden Wahlrechte in den Kommunen – reichte das denn immer noch nicht? Die unterdrückten Preußen konnten davon doch nur wehmütig träumen. Und dennoch brach die Revolution 1848 nicht in Berlin, sondern in Mannheim aus. Dort, wo die Nachrichten von einer neuerlichen Revolution in Frankreich (natürlich waren es wieder einmal die Franzosen, die am 24. Februar ihren König verjagt hatten) am schnellsten eintrafen. Dort, wo die Bevölkerung sich in den vergangenen zehn Jahren den Ruf hart erarbeitet hatte, besonders „aufmüpfig“ zu sein. Ja, es stimmte. Baden war in vielen Fragen bedeutend fortschrittlicher als die restlichen deutschen Bundesstaaten. Aber das machte die Bevölkerung nicht zufriedener, im Gegenteil. Das vergleichsweise hohe Maß an Beteiligung führte nur zum konsequenten Drängen nach noch umfassenderer Teilhabe.

Am Sonntag, den 27. Februar 1848, war es soweit. Der Redakteur Gustav Struve und der Verleger Heinrich Hoff riefen zur Volksversammlung in den Aulasaal (A 4, 4) auf und 2.500 Menschen kamen – der Staat hatte sie nicht mehr daran hindern können. Alle waren sich einig, dass jetzt die Stunde gekommen war, um die seit langem erhobenen wichtigsten Forderungen durchzusetzen:

  1. Volksbewaffnung mit freien Wahlen der Offiziere
  2. Unbedingte Preßfreiheit
  3. Schwurgerichte nach dem Vorbilde Englands
  4. Sofortige Herstellung eines deutschen Parlamentes

Die „Mannheimer Forderungen“ begannen unmittelbar danach ihren Siegeszug durch alle deutschen Bundesstaaten. So schnell, wie es niemand für möglich gehalten hätte, wurden sie im März 1848 weitgehend verwirklicht.

Im Aulasaal in Mannheim nahm aber nicht nur die Revolution ihren zunächst so erfolgreichen Lauf. Noch einmal konnten sich hier Liberale und radikalere Kräfte (die sich bald Demokraten nennen sollten) auf ein gemeinsames Programm verständigen. Der weitere Gang der Dinge sollte sie bald auseinanderführen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Peter Blastenbrei: Mannheim in der Revolution 1848/49 (= Kleine Schriften des Stadtarchivs, Bd. 10), Mannheim 1997.

/// Bildungshungrige Frauen stürmen morgen in unserem Onlinekalender akademische Männerbastionen.

Die kommunale Revolution – Ludwig Winter und die neue Gemeindeordnung

Schreiben Sie einen Kommentar!

17. Februar 1832 | Traum und Wirklichkeit. Die badischen Liberalen konnten davon ein Lied singen. Die Verfassung von 1818 war ja schön und gut, aber sie allein änderte noch nicht viel. Wo blieben die konkreten politischen Folgen? Den Liberalen wurde in den 1820er Jahren dies schmerzhaft vor Augen geführt. Das Großherzogtum erstarrte geradezu. Die beharrenden Kräfte drängten die Reformer in die Defensive, der mit großen Hoffnungen gewählte Landtag wurde kalt gestellt. Von Aufbruch keine Spur. Das durch die Verfassung gegebene Versprechen auf Teilhabe blieb Papier.

Noch ein badischer Reformer: Ludwig Georg Winter
Noch ein badischer Reformer: Ludwig Georg Winter. (Bildnachweis: Bildarchiv Österreich; Bearb.: HdG BW/Hemberger)

Der politische Frühling kam im Juli 1830. Eine neue Revolution in Frankreich versetzte auch Baden in Aufregung. Der erst seit März amtierende neue Großherzog Leopold stellte sich mehr oder weniger freiwillig an die Spitze einer Reformbewegung, um die Unruhe in den Griff zu bekommen. Die Berufung des 1778 in Elzach-Prechtal geborenen Ludwig Georg Winter zum Innenminister war ein klares Bekenntnis zu Veränderungen. Der liberal geprägte Beamte hatte für den ersten Landtag 1819 bereits den Entwurf einer neuen Gemeindeordnung erarbeitet. Nachdem Winter damals an den Kräften der Reaktion gescheitert und nach Freiburg strafversetzt worden war, wollte er nun dieses zentrales Thema einer  Bürgergesellschaft endlich verwirklichen. Zusammen mit dem frei gewählten und entsprechend stark liberal geprägten Landtag von 1831 machte er sich erneut ans Werk.

Das Resultat, das am 17. Februar 1832 im Großherzoglich Badischen Staats- und Regierungblatt erschien, war nicht weniger als ein staatlich verordneter Umsturz in den Gemeinden. Alle Bürgermeister und Gemeinderäte sollten zwischen dem 1. Juni 1832 und dem 31. März 1833 neu gewählt werden. Das Wahlrecht dafür war bemerkenswert: In geheimer Wahl bestimmten sämtliche Gemeindebürger direkt die Spitzenämter ihrer Gemeinde. Jede Stimme zählte gleich viel! Der ursprünglich vorgesehene Zensus, der die höher Besteuerten bevorzugt hätte, wurde vom Landtag erfolgreich abgewehrt. Die Ämter sollten nur noch auf sechs Jahre vergeben werden, von lebenslangen Ämtern konnte keine Rede mehr sein.

Das Wahlrecht ging einher mit einer gleichzeitig beschlossenen deutlichen Stärkung der Partizipation der Bevölkerung durch ein neues Bürgerrechtsgesetz: Die bisherigen Schutzbürger, die aufgrund ihrer meist schlechten ökonomischen Verhältnisse nur ein eingeschränktes Gemeindebürgerrecht besaßen, wurden zu gleichgestellten Gemeindebürgern. Mit einem Schlag erweiterte sich so die Bürgerschaft beträchtlich.

Der badische Frühling von 1830 fand zwei Jahre später durch einen von den konservativen Großmächten Preußen und Österreich herbeigeführten Kälteeinbruch sein trauriges Ende. Auch die badische Regierung kam ins Grübeln. Ludwig Georg Winter versuchte das Steuer wieder ein Stück in die konservative Richtung herumzureißen. Das kommunale Wahlrecht wurde eingeschränkt und mit Hürden versehen.  Aber die von ihr selbst eingeleitete Demokratisierung der Gemeinden konnte die Regierung nicht mehr völlig abwürgen – mit weitreichenden Folgen, wie sich 1848 zeigen sollte.


/// Gehen morgen die Lichter aus? Am 18. Februar folgt der nächste Kalendereintrag.

Ein außergewöhnlicher Minister – Moritz Ellstätter und die Gleichstellung der Juden

2 Kommentare

12. Februar 1865 | „Er war der jüngste der Ministerialräte, dazu Jude!“ Die Karlsruher Beamtenwelt konnte ihre Bestürzung nicht verbergen. Die Ernennung von Moritz Ellstätter zum Präsidenten des Badischen Finanzministeriums am 12. Februar 1868 durch Großherzog Friedrich erschütterte alle hergebrachten Vorstellungen. Ein Jude als Minister, unerhört!

Eine andere Unterschrift des Großherzogs hatte die Minister-Ernennung erst möglich gemacht. Am 4. Oktober 1862 genehmigte Friedrich das „Gesetz, die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten betreffend“. Als erster deutscher Flächenstaat verfügte Baden damit die vollständige rechtliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung. Endlich erhielten Juden die volle politische Teilhabe – zumindest auf dem Papier.

Moritz Ellstätter (Bildnachweis: Stadtarchiv Karlsruhe; Bearb.: HdGBW/Hemberger).
Außergewöhnlich: Moritz Ellstätter (Bildnachweis: Stadtarchiv Karlsruhe; Bearb.: HdGBW/Hemberger).

Denn ein Gesetz allein reicht nicht aus. Erst die Berufung des am 11. März 1827 in Karlsruhe geborenen Moritz Ellstätter in eines der wichtigsten Staatsämter beglaubigte die Emanzipation. Ellstätter war der geeignete Mann dafür. In Heidelberg und Bonn hatte er Rechtswissenschaften studiert. Nachdem sein Antrag auf Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Karlsruhe abgelehnt worden war, arbeitete er ab 1856 in Berlin, wo er Karl Mathy, einen der führenden badischen Liberalen, kennen lernte. Als Ellstätter doch noch in Baden Rechtsanwalt werden durfte, zog er 1859 nach Durlach. Das Gleichstellungsgesetz ermöglichte ihm 1864 den nächsten Schritt: Am 1. Oktober trat er in den badischen Staatsdienst ein. Seine Freundschaft mit Mathy half ihm schnell weiter. Bereits am 1. August 1866 wurde er Referent in dem inzwischen von Mathy geleiteten badischen Finanzministerium. Der überraschende Tod von Mathy am 3. Februar 1868 eröffnete Ellstätter einen völlig unerwarteten Aufstieg.  Als Finanzminister sanierte er den badischen Staatshaushalt und reformierte das Steuersystem durch eine gerechtere Erfassung und Bemessung der zu Besteuernden. Seine Amtszeit bezeugte seinen großen Erfolg: Er blieb 25 Jahre im Amt.

Und noch etwas machte Ellstätter außergewöhnlich: Bis 1918 blieb er der einzige Minister jüdischen Glaubens in ganz Deutschland.


/// Mehr mitbestimmen können, auch in Tutschfelden, Önsbach oder Unshurst: Am 17. Februar erscheint der nächste Eintrag.

Die wandernden Kasinos – Jakob Lindau und die katholische Opposition

Schreiben Sie einen Kommentar!

5. Februar 1865 | Hier kann das Landesglücksspielgesetz (LGlüG) nicht weiterhelfen. Den Begriff „Wandernde Kasinos“ kennt es nicht. Und dies liegt nicht nur an der Schreibweise. Kein Wunder, denn die ursprüngliche Idee dazu stammt aus dem 19. Jahrhundert. Auf dem Katholikentag in Aachen 1862 wurden die Gläubigen dazu aufgerufen, „Kasinos“ zu gründen. Nein, die Kirche wollte sie nicht zum Glücksspiel verleiten. Casinogesellschaften galten seit der Französischen Revolution als Orte, an denen Männer des Bürgertums Freizeitvergnügen und politische Diskussion gepflegt miteinander verbinden konnten. Und genau dies sollten die neuen „Kasinos“ nun speziell auch für ein katholisches Publikum leisten – und damit ein politisches Zeichen setzen.

Politik ist kein Glückspiel, das wusste auch Jakob Lindau.
Politik ist kein Glückspiel, das wusste auch Jakob Lindau (Bildnachweis: HDGBW/Hemberger)

Der am 10. Mai 1833 in Heidelberg geborene Kaufmann Jakob Lindau war einer der Männer, die diese Idee aufgriffen. In seiner Heimatstadt gründete er im Herbst 1862 ein Kasino, das jeweils mittwochs im „Pariser Hof“ stattfand. Lindaus Initiative erzielte den gewollten Effekt: Seine Gesellschaft wurde zum Kern einer katholischen Gruppierung in Heidelberg, die sich im eklatanten Widerspruch zum vorherrschenden protestantisch-liberal geprägten Zeitgeist verstand. Das von der liberalen badischen Regierung in Karlsruhe durchgesetzte Schulgesetz vom 29. Juli 1864 führte zum endgültigen Konflikt: Die Katholische Kirche fürchtete um ihren Einfluss auf die Schulen und lief unter Berufung auf die Freiheit des Gewissens Sturm gegen die geplante staatliche Kontrolle.

In Lindaus Kasino entstand der Plan, sich künftig nicht nur in Heidelberg zu treffen und auszutauschen. „Wandernde Kasinos“ waren die Antwort! In aller Öffentlichkeit sollte sich die katholische Bevölkerung bei (je nach Region) Bier oder Wein nicht nur über ihre Themen besprechen, sondern letztlich für die katholische Sache politisch mobilisiert werden. Das erste auswärtige Kasino fand am 5. Februar 1865 in Mosbach statt. In der Morlockschen Bierbrauerei strömten die Menschen zusammen und hörten mit Begeisterung dem großartigen Redner Lindau zu. Am nächsten Tag kamen bereits bis zu 2.000 Menschen in Tauberbischofsheim zusammen. In den nächsten Tagen folgten im ganzen Großherzogtum fast täglich neue Kasinos, meist mit Lindau als gefeiertem Redner.

Die Liberalen begannen nervös zu werden. In Radolfzell und andernorts versuchten sie das Kasino zu stören. Geradezu dramatisch verlief das Mannheimer Kasino am 23. Februar. Nachdem die Veranstaltung verboten worden war, überfielen Gegendemonstranten einen von Lindau angeführten Zug von rund 3.000 Teilnehmern. Trotz mehrerer Verletzter griff die Polizei nicht ein. Der „Mannheimer Kasinosturm“ sorgte in ganz Deutschland für Schlagzeilen. Lindau war endgültig bekannt geworden, und die Gründung einer katholisch-konservativen Oppositionspartei nahm Formen an.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Michael Kitzing: Für den christlichen und sozialen Volksstaat. Die Badische Zentrumspartei in der Weimarer Republik (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 163.). Düsseldorf 2013.
  • LEO-BW: Jakob Lindau.

/// Was passiert, wenn Gabi, Ahmet, Piet, Lea und Werner die Arbeit niederlegen, lesen Sie morgen in unserem Onlinekalender.

Datenschutz © 2018 | Haus der Geschichte Baden-Württemberg