Auf dem Königsweg – Die Verfassung für Württemberg von 1819

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25. September 1819 | Der Weg ist das Ziel. Diese alte Weisheit gilt auch für die Württembergische Verfassung von 1819.

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Ja, die Verfassung für das Königreich Württemberg war beachtlich und in vielen Punkten weitsichtig und fortschrittlich. Aber ihre Entstehung ist die vielleicht noch bemerkenswerte Geschichte. Württemberg bekam mit seiner Verfassung kein „Gnadengeschenk“ von einem wohlmeinenden Fürsten, wie es in Baden und den anderen wenigen deutschen Verfassungsstaaten Praxis war. Im Königreich wurde stattdessen ein regelrechter Verfassungsvertrag zwischen dem Monarchen und den Vertretern des Volkes abgeschlossen. Mitnichten waren Wilhelm I. und sein Vorgänger Friedrich I. Anhänger des Gedankens der Volkssouveränität: Sie sahen sich als allein durch göttlichen Willen eingesetzte und legitimierte Herrscher. Die Vereinbarung war das Ergebnis einer tief verwurzelten württembergischen Tradition: das Recht auf Teilhabe. Die uralte Grundlage dafür war der von Herzog Ulrich mit den Landständen am 8. Juli 1514 abgeschlossene Tübinger Vertrag. Darin hatten sich die Landstände das Recht auf Zustimmung in Steuerfragen und bei der Landesverteidigung gesichert.

Wie mächtig diese Tradition war, hatte Friedrich I. deutlich vor Augen geführt bekommen. In seinem absoluten Machtanspruch hatte der angehende König Ende 1805 die seitherige landständische Verfassung für Altwürttemberg aufgehoben und die Landstände aufgelöst. Aber das Ende der Herrschaft Napoleons veränderte natürlich auch die Machtposition seines seitherigen Verbündeten. Friedrich I. versuchte die eigene Stellung durch eine neue Verfassung abzusichern. Für den 15. März 1815 berief er eine Ständeversammlung ein, die die Verfassung annehmen sollte. Neben Vertretern des Adels, der Kirchen und der Universitäten saßen darin die Vertreter der 65 Oberämter und der sieben wichtigsten Städte – gewählt von allen Männern, die aus Liegenschaften ein jährliches Einkommen von 200 Gulden nachweisen konnten.

Wenn Friedrich I. gedacht hatte, sein überraschend großzügiger Entwurf würde leicht Zustimmung finden, sah er sich getäuscht: Die Versammlung forderte stattdessen die weitgehende Wiederherstellung der altwürttembergischen Verfassung. Was folgte, war ein auf Biegen und Brechen geführter Kampf um die Verfassung. Auch der 1816 auf den Thron nachfolgende Wilhelm I. scheiterte zunächst an der Spaltung des Landes in die beharrenden Altwürttemberger auf der einen Seite und die für die neue Verfassung aufgeschlossenen Neuwürttemberger auf der anderen Seite. Erst 1819 gelang der Durchbruch, als eine neu gewählte verfassunggebende Versammlung unter dem zunehmenden Druck der äußeren Verhältnisse entschlossen nach einem Ausweg suchte.

Das kaum noch für möglich gehaltene Happy End fand am 25. September 1819 im Ordenssaal des Ludwigsburger Schlosses statt. Der Monarch und die Ständeversammlung tauschten gehaltvolle Urkunden miteinander aus – Württemberg hatte einen neuen Vertrag.

 

Ein Grund zum Feiern – Baden begeht den 25. Geburtstag seiner Verfassung

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22. August 1843 | Das ansonsten so beschauliche Örtchen Griesbach im mittleren Schwarzwald erlebte an jenem 22. August des Jahres 1843 einen regelrechten Massenansturm: Feierwillige aus dem Umland strömten an den Ort, wo Großherzog Karl im Jahr 1818 die erste Verfassung Badens unterschrieben hatte. Festschmuck zierte den Ort, Bürgergarden marschierten auf und eine Festausgabe der Verfassungsurkunde wurde unter das Volke gebracht, wobei besonders die Jugend mit dem Sonderdruck bedacht wurde, wie die „Freiburger Zeitung“ berichtete. Auch in anderen Dörfern und Städten Badens ein ähnliches Bild: Salutschüsse donnerten, Feuerwerk leuchtete auf, in Gasthäusern wurde gefeiert und auf den zentralen Plätzen erschallten Lobreden auf die Verfassung.

Bereits im Vorfeld hatte die „Mannheimer Abendzeitung“ (MAZ) die Überzeugung des liberalen Bürgertums klar zum Ausdruck gebracht: „Das Verfassungsfest ist deshalb auch ein Fest aller Bürger, d.h. des badischen Volkes.“ (MAZ, 19. August 1843). Bereits Monate vor dem Festdatum hatten sich landesweit Bürgerkomitees gegründet, in denen bekannte Liberale mitarbeiteten. Ursprünglich hatte die badische Regierung nicht beabsichtigt, eigene Feiern abzuhalten. Doch um das Jubiläum nicht ganz der liberalen Opposition anheimfallen zu lassen, wies sie die Beamten an, sich in die Festplanungen einzuklinken.

 

Ein wiederkehrendes Thema in den gehaltenen Jubelreden war der innige Appell an die Bürger, die Verfassung nicht zu „toten Buchstaben“ werden zu lassen (MAZ, 22.08.1843). So forderte beispielsweise der liberale Abgeordnete und Journalist Karl Mathy auf dem Verfassungsfest in Schwetzingen: „(…) wir wollen vorwärts schreiten zu freien würdigen Zuständen auf der Bahn der Verfassung, und darum ist es nothwendig, daß die Bürger ihre Rechte kennen lernen und ausüben.“

Denn die badischen Liberalen wussten, dass es bei der Umsetzung der Verfassungsprivilegien in handfeste Gesetze immer wieder zu Ungereimtheiten kam – als Beispiel führte Mathy die Presse- und Redefreiheit an, die zwar prinzipiell gegeben war, sich praktisch jedoch nichts an der Zensur geändert hatte. Die „Mannheimer Abendzeitung“ witterte folgerichtig auch Eingriffe in die Rede Jakob Heuß‘ in Eberbach am Neckar und prangerte diese an (MAZ, 29.08.1843). Ein weiteres vergiftetes Lob brachte das Blatt aus dem Mittelrheinkreis: „Mit besonderem Vergnügen“ habe man aufgenommen, dass die dort lebenden Menschen jüdischen Glaubens intensiv an den Verfassungsfeiern teilgenommen hätten; zeitgleich bedauerten sie zu Recht, dass sie nicht dieselben Staatsbürgerrechte wie ihre christlichen Mitbürger genössen (MAZ, 24.08.1843).

Ausgerechnet der in den Feierlichkeiten zum Ausdruck gebrachte Verfassungspatriotismus wurde einer der Impulse für den Weg zur Revolution von 1848/49. Die wachsende Unzufriedenheit über die Diskrepanz zwischen den Verfassungsversprechen und der nüchternen Realität brachte die Bürger fünf Jahre später erneut auf die Straße – diesmal jedoch ohne Feierstimmung.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Götz Distelrath: Eine Feier für das „Palladium gesetzlicher Freiheit“. Das Verfassungsfest vom 22. August 1843 in Freiburg, in: Archivnachrichten 43 (2011), S. 50-57 [online].
  • Karl Mathy (Hg.): Die Verfassungsfeier in Baden am 22. August 1843 (= Vaterländische Hefte über innere Angelegenheiten für das Volk, Bd. 2), Mannheim 1843 [Sammlung verschiedener Reden u.a., online].
  • Paul Nolte: Die badischen Verfassungsfeste im Vormärz. Liberalismus, verfassungskultur und soziale Ordnung in den Gemeinden, in: Manfred Hettling/Paul Nolte (Hgg.): Bürgerliche feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 63-95.

Gemeinsam mehr haben – Das genossenschaftliche Prinzip erobert den Südwesten

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21. August 1864 | Ein Sprichwort besagt: Bei Geld hört die Freundschaft auf. Doch nehmen wir einmal an, dass bei Geld die Freundschaft anfängt (gekaufte Freundschaften und Likes diverser Internetsternchen auf der Plattform mit dem blauen F vernachlässigen wir an dieser Stelle). Das 19. Jahrhundert war für weite Teile der Bevölkerung in Baden, Württemberg und Hohenzollern von Mangel geprägt. Große finanzielle Sprünge konnten sich weder arme Bauernfamilien im Hohenlohe noch jene Menschen erlauben, die in den neuen Fabriken im Rhein-Neckar-Gebiet malochten. So scharf sich die soziale Frage stellte, so vielzählig waren die vorgeschlagenen Lösungen: Diese reichten von der christlichen Fabrikkommune Gustav Werners bis zur Gründung von Arbeiterorganisationen wie dem Mannheimer Arbeiter-Bildungs-Verein im Jahre 1861. Einen weiteren sehr erfolgreichen Gedanken verfolgte der Sozialreformer Hermann Schulze-Delitzsch. Im Jahre 1858 schrieb er:

Endlich aber müssen alle Bestrebungen zum Wohl der arbeitenden Klassen auf die innere sittliche und wirthschaftliche Stärkung derselben, auf die Erweckung und Hebung der eignen Kraft, auf die Selbsthilfe der Betheiligten gegründet sein (…).“ (Schulze-Delitzsch, Die arbeitenden Klassen und das Associationswesen in Deutschland (…), S. 108)

 

Auf staatliche Sparkassen mit wohltätigen Anspruch war der Genossenschaftler nicht gut zu sprechen: Institutionen wie die 1818 auf Betreiben der württembergischen Königin Katharina geschaffene Landessparkasse waren in seinen Augen zu eng mit dem Obrigkeitsstaat verbandelt und würden die Eigeninitiative des einfachen Volkes lähmen.

Eine Alternative lag nahe: Gleichberechtige Mitglieder (Genossen) sollten durch gemeinschaftliches Sparen einen Kapitalstock aufbauen, aus dem Geld zu günstigen Konditionen geliehen werden konnte. Dieses Konzept des finanziellen Empowerments nahm mit der Gründung der „Öhringer Privatspar- und Leihkasse“ am 27. August 1843 konkret Gestalt an. Es handelt sich dabei um die erste genossenschaftliche Bank Deutschlands – gegründet, noch bevor Schulze-Delitzsch seinen ersten „Vorschussverein“ (später: Volksbank) im Jahre 1850 aus der Taufe hob.

Im Bürgermuseum Stuttgart fanden sich 1864 Vertreter verschiedener Darlehnskassen (Volksbanken) aus Württemberg und Baden zur Verbandsgründung ein (Bildnachweis: Baden-Württembergischer genossenschaftsverband e.V.).

Die Zahl der Volksbanken wuchs im Königreich Württemberg bis 1863 nur zaghaft auf insgesamt acht. Um die regionale Vernetzung weiter zu stärken, kamen am 21. August 1864 Vertreter verschiedener badischer und württembergischer Handwerks- und Vorschusskassen im Stuttgarter Bürgermuseum zusammen. Schulze-Delitzsch persönlich hielt einen Vortrag, um seiner Idee im Südwesten mehr Gehör und Zugkraft zu verschaffen. Der an diesem Tag gegründete „Verband der wirtschaftlichen Genossenschaften in Württemberg und Baden“ hielt allerdings nur bis 1867 und zerfiel in seine regionalen Einzelteile.

Besonders ab den 1880er Jahren konnte sich zudem Friedrich Wilhelm Raiffeisen mit seinem Konzept landwirtschaftlicher Kredit- und Einkaufgenossenschaften im Südwesten erfolgreich etablieren.

Geld will ausgegeben werden, doch wo? Ebenfalls im Jahre 1864 gründeten Mitglieder des Stuttgarter Arbeiterbildungsvereins ihren „Markenkonsumverein“ (später: Konsum). Günstige Preise und gute Qualität zu garantieren war Ziel der Vereinigung, die rasch Schule machte und sich im Südwesten verbreitete.

Gemeinsam lässt sich eben mehr erreichen – damals wie heute.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Institut für bankhistorische Forschung e.V. (Hrsg.): Sozialreformer, Modernisierer, Bankmanager. Biografische Skizzen aus der Geschichte des Kreditgenossenschaftswesens, München 2016 [vgl. die Kapitel zu Schulze-Delitzsch (S. 37-57) und zu Raiffeisen (S. 59-77)].
  • Martin Krauß/Sebastian Parzer: Die Chronik der Volksbank Hohenlohe eG. Im Vertrauen auf die eigene Kraft schafften 50 Bürger vor 175 Jahren das scheinbar Unmögliche …, Ubstadt-Weiher 2018 [darin: Geschichte der Volksbank Öhringen].
  • Hermann Schulze-Delitzsch: Die arbeitenden Klassen und das Associationswesen in Deutschland als Programm zu einem deutschen Congress, Leipzig 1858 [Digitalisat der Bayrischen Staatsbibliothek].
  • Zeitsprung: Podcast zur Geschichte der Genossenschaften.

Spät, aber nicht zu spät – Die Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen von 1833

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11. Juli 1833 | Manche Dinge brauchen ein bisschen länger. Was uns heute nur zu bekannt vorkommt, galt natürlich auch schon im 19. Jahrhundert. Durch die Bundesakte von 1815 waren alle Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes verpflichtet worden, eine „landständische Verfassung“ einzuführen. Aus eigenem Interesse folgten Baden und Württemberg umgehend diesem Auftrag und führten 1818 beziehungsweise 1819 wegweisende Verfassungen ein. Das kleine Fürstentum Hohenzollern-Hechingen konnte sich ein wenig daran vorbeimogeln  und verwies auf einen seit 1798 bestehenden „Landesvergleich“, in dem die grundlegende Ordnung des Fürstentums festgelegt worden war. Von den vier MDB (Mitglied im Deutschen Bund) im Südwesten blieb damit nur noch das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen übrig, wo alle Versuche, eine Verfassung zu verkünden, bislang im Sande verlaufen waren – zum großen Ärger der Bevölkerung, die sich im Vergleich zu den Nachbarstaaten völlig zu Recht benachteiligt fühlte.

Des Volkes Stimme | Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen von 1833

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Das lange Zögern fand 1830 durch die Juli-Revolution in Frankreich ein abruptes Ende. Die Angst, die eigenen Untertanen könnten zu ähnlichen unerhörten Maßnahmen greifen, zwang Fürst Anton Alois dazu, endlich selbst zur Tat zu schreiten. Das-auf-die-lange-Bank-schieben hatte einen Preis: Statt die Verfassung einfach zu oktroyieren (sprich: gnädig zu schenken), wie es in den reaktionären 1820er Jahren noch möglich gewesen wäre, musste der Fürst nun einen Beteiligungsprozess einleiten: Die Hohenzollern sollten Abgeordnete wählen, „um das Verfassungsgeschäft zu bereinigen“.

Nach dem Tod von Anton Alois am 17. Oktober 1831 fiel dem neuen Fürsten Karl die Aufgabe zu, die Beteiligung zu organisieren. Vorbildlich kündigte er Wahlen für die geplante 13-köpfige Versammlung an, die sich mit der Verfassung beschäftigen sollte. Einen Schönheitsfehler gab es:  Die Bevölkerung konnte nur zehn Vertreter auswählen, die drei restlichen Mitglieder durften die Fürsten von Fürstenberg und Thurn und Taxis sowie die Geistlichkeit direkt entsenden. Am 26. März 1832 wurde der Landtag feierlich eröffnet, danach begann die Beratung des von der Regierung vorgelegten Verfassungsentwurfs. Da kein Publikum zugelassen war und es in Sigmaringen nur das mehr oder wenige amtliche „Wochenblatt“ gab, übernahm die in Freiburg erscheinende Zeitung „Der Freisinnige“ die wichtige Aufgabe, durch ausführliche und kritische Berichte eine Öffentlichkeit für die Verhandlungen herzustellen.

Die Hohenzollern machten es sich mit den Beratungen nicht gerade leicht. Nachdem die neue Wahlordnung für das Land im Mai beschlossen worden war, musste die Versammlung erneut gewählt werden. Dieses Mal verdoppelte sich immerhin die Anzahl der Vertreter der Bevölkerung auf 20 Abgeordnete. Am 22. April 1833 eröffnete Karl die zweite Versammlung, die aber sofort den paradoxen Beschluss fasste, die Verfassung lediglich von einer kleinen Kommission weiter beraten zu lassen und die übrigen Mitglieder zu beurlauben. Alle Abgeordneten kamen erst wieder am 10. Juni zusammen und verabschiedeten das Werk am 9. Juli 1833.

Das vorläufige Happy End folgte zwei Tage später: Fürst und Ständeversammlung unterschrieben am 11. Juli die Verfassung und tauschten die Urkunden in feierlicher Form aus.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Roland Kirchherr: Die Verfassung des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen vom Jahre 1833, Köln, Wien 1979.

Auf Schusters Rappen – Der Schwarzwaldverein erwandert den Südwesten

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8. Juni 1864 | Wo es bei jedem Schritt nach Tannenharz durftet, wo die Waldspitzmaus der badischen Quellschnecke begegnet und wo Wandersleute von der Hornisgrinde oder dem Belchen ins Land schauen können, dort liegt der sagenhafte Schwarzwald. Wie kaum ein anderes Gebiet in Deutschland ruft der Schwarzwald romantische Heimatgefühle hervor, steht für unberührte Natur und frische Luft. Dieses positive Image hat er nicht erst seit Kurzem. Einheimische begannen schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts damit, das Gebiet zwischen Pforzheim in Norden und Rheinfelden im Süden touristisch zu erschließen. Am 8. Juni 1864 gründete sich in der Freiburger Gaststätte „Renz’scher Felsenkeller“ der „Badische Verein von Industriellen und Gastwirthen zum Zweck, den Schwarzwald und seine angrenzenden Gegenden besser bekannt zu machen.“ Der unerhört lange Name war schon drei Jahre später Geschichte, als man sich kurz und tannenzapfenknackig in „Schwarzwald-Verein“ umbenannte. Im Jahre 1884 folgte ein württembergisches Pendant, ehe sich beide Vereine 1934 zusammentaten.

 

Rauten zieren ihre Wege: Philipp Bussemer und Julius Kaufmann markierten für den badischen Schwarzwaldverein im Jahr 1900 mit kleinen roten Rautenschildern den Westweg, der sich 279 Kilometer von Pforzheim nach Basel schlängelt. Das Zeichen des ersten europäischen Fernwanderwegs wurde zugleich zum Wappensymbol des Vereins. Heute zieht sich ein ganzes Netz gut ausgebauter und -geschilderter Wanderwege durch den Schwarzwald.

Mit der roten Raute markiert der Schwarzwaldverein seinen Wanderweg „Westweg“ von Pforzheim nach Basel (Bildnachweis: HdGBW).

Deutschlands ältester Wanderverein baute im 19. Jahrhundert zahlreiche Aussichtstürme (beispielsweise auf der Hornisgrinde), gab ab 1893 Wanderkarten heraus und richtete Wanderheime ein. Der Naturschutz spielte eine weitere gewichtige Rolle. In den 1920er Jahren gingen die Mitglieder gegen einen Stausee im Schluchtal in Südbaden auf die Barrikaden und erwirkten die Einrichtung eines Ausgleichs-schutzgebiets in der Wutachschlucht. In der Nachkriegszeit rückten die Zersiedelung der Landschaft und das Waldsterben in den Fokus der Aktivitäten. Unter ihrem Vorsitzenden, dem umweltbewegten Konservativen Hermann Person,  mischte der Verein in der Umweltbewegung der 1980er Jahre mit.


Zum Weiterlesen und -forschen:

Umsturz oder nicht – Die zweite Volksversammlung in Offenburg

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13. Mai 1849 |  Finaler Akt der Revolution. Nach der Ouvertüre im „Salmen“ am 12. September 1847 und dem 1. Akt bei der großen Volksversammlung am 19. März 1848 beginnt an diesem Sonntag bei schönstem Wetter nun das große Finale. Die Bühne ist erneut der Platz vor dem Offenburger Rathaus. Der Zustrom ist ungebrochen, das Publikum ist noch größer geworden – angeblich sollen es jetzt 30.000 Menschen sein – obwohl die seitherigen Hauptakteure fehlen: Friedrich Hecker ist 7.401 Kilometer weiter westlich. Sobald er die Breaking News aus Baden hört, wird er zwar in seiner neuen Wahlheimat nahe Lebanon, Illinois, USA, eilig einen Koffer packen und sich auf den Weg machen, aber er wird es bis zum Ende des Stückes nicht mehr schaffen. Auch sein alter Weggefährte Gustav Struve kann am 13. Mai in Offenburg nicht dabei sein. Er ist nur 100 Kilometer entfernt, sitzt aber in Bruchsal leider hinter Gittern. Erst am Abend des 13. Mai wird die aus Offenburg zurückkehrende Bruchsaler Delegation ihm wieder seine volle Bewegungsfreiheit verschaffen.

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Als Ersatz für die alten Helden treten nur eher zweitklassige Akteure auf. Dafür gibt es jedoch einen höchst begabten und vielversprechenden neuen Regisseur. Er kommt aus Renchen und heißt Amand Goegg. Der 29-Jährige zieht bereits seit einiger Zeit meisterhaft die Strippen und hat in seinem Drehbuch alles bestens vorbereitet. Für die Dekoration hat er einen Wechsel der Farben veranlasst: Das strahlende Schwarz-Rot-Gold hat einem kräftigem Rot Platz gemacht – die Zeit für leisere Töne ist vorbei. Um den gewünschten Gang der Dinge zu beschleunigen, hat er eine Delegation nach Karlsruhe geschickt, die dem Großherzog die Forderungen der Demokraten überbringt. Die erwartete Ablehnung ist die notwendige Hinführung zum ersten Höhepunkt. Der Chor der 30.000 intoniert die Revolution mit Nachdruck und folgt dem Libretto hingebungsvoll: „Die deutschen Fürsten haben sich zur Unterdrückung der Freiheit verschworen und verbunden (…). Die Deutschen befinden sich also im Stande der Notwehr, sie müssen sich verbinden, um die Freiheit zu retten; sie müssen dem Angriffe der fürstlichen Rebellen den bewaffneten Widerstand entgegensetzen.“

Der Erfolg ist beispiellos. Bereits am Abend findet das Stück sogar bei den Garnisonen in Rastatt und Bruchsal enormen Anklang. Nur dem Großherzog missfällt es: Er nimmt Reißaus und verlässt seine Karlsruher Loge – vorläufig.


Zum Weiterlesen und -forschen:

Das Schweigen wird beendet – Louise Dittmar spricht öffentlich

Ein Kommentar

10. Mai 1847 | „Das Weib soll schweigen“ (1. Kor. 14, 34). An diesem Montag nahm das Schweigen endgültig ein Ende. In aller Öffentlichkeit sprach Louise Dittmar im Mannheimer „Montags-Verein“ über „vier Zeitfragen“. Ihr Auftritt war eine Sensation für das Publikum – „einige hundert Männer und Frauen, hörbegierig lauschend auf die seltenen Mut und liebenswürdige Schüchternheit und Bescheidenheit innig vereinende Sprecherin!“ („Mannheimer Abendzeitung“, 12. Mai 1847)

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Die in 1807 in Darmstadt geborene Louise Dittmar hatte in den Jahren zuvor verschiedene Abhandlungen verfasst.  Auf ihr Essay „Skizzen und Briefe aus der Gegenwart“ folgten 1846 und 1847 die Schriften „Der Mensch und sein Gott in und außer dem Christenthum“ sowie „Lessing und Feuerbach“. Obwohl ihre Texte ohne Namensnennung erschienen waren, verbreitete sich schnell Dittmars Ruf einer kirchenkritischen Denkerin, die an der Religionskritik von Ludwig Feuerbach angelehnt, den herkömmlichen Gottesglauben hinterfragte. Ausdrücklich wurde sie im Mannheimer „Montags-Verein“ auch als eine entsprechende Autorin begrüßt.

Karl Scholl, der die einführenden Worte sprach, galt als einer der führenden Kräfte des Vereins. Der Prediger der neuen deutsch-katholischen Gemeinde in Mannheim hatte zusammen mit Amalie und Gustav Struve im Februar 1847 den „Montags-Verein“ gegründet. Dort sollten im Sinne der Aufklärung nicht nur religiöse, sondern auch sozial- und gesellschaftspolitische Fragen diskutiert werden. Allein die Beteiligung des Ehepaares Struve garantierte, dass die Veranstaltungen des Vereins prinzipiell offen für Frauen waren. Die Einladung an Louise Dittmar hob diese völlig ungewohnte Gleichberechtigung noch einmal auf ein neues Niveau. „Zum ersten Mal spricht eine Frau sich öffentlich über das aus, was sie unter Gewissensfreiheit versteht“, betonte Dittmar die historische Bedeutung. Entschlossen nutzte sie das Mannheimer Forum für ein überzeugendes Plädoyer für die Gleichberechtigung von Frauen: „Nicht eher wird die Menschheit einer harmonischen Fortentwicklung fähig werden, nicht eher werden jene rohen Triebe sich läutern und edleren Empfindungen Raum geben, bis man allen Teilen der Gesellschaft das Recht gestattet, sich auszusprechen, bis man auf alle Forderungen hört, und alle gegen einander abwägt!“

Der Mannheimer Vortrag war so erfolgreich, dass Dittmar ihn publizieren ließ – dieses Mal unter ihrem Namen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Louise Dittmar: Vier Zeitfragen. Beantwortet in einer Versammlung des Mannheimer Montag-Vereins. Offenbach 1847.
  • Christina Klausmann: Louise Dittmar (1807-1884): Ergebnisse einer biographischen Spurensuche, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Band 28 (1989), S. 17-39.

 

Schillerndes Gedenken – Wie ehrt man einen Dichterfürsten?

Ein Kommentar

9. Mai 1835 | Dass ausgerechnet diese Stadt ihm ein Denkmal errichten würde, hätte Friedrich Schiller zumindest belustigt. Als französische Truppen im Jahr 1796 in Stuttgart einmarschieren wollten, schrieb er an Johann Wolfgang von Goethe: „Ich kann das aber nicht glauben,  da (… ) es keinem Mensch, der bei Sinnen ist, einfallen kann, sich auch nur 3 Stunden darin halten zu wollen.“ Der gebürtige Marbacher sah in der Residenzstadt des 1793 gestorbenen Württembergischen Herzogs Carl Eugen ein Symbol für provinzielles Despotentum: Wie Recht er haben sollte, bewiesen die verhärmten Reaktionen der Obrigkeit auf Schillers Revoluzzer-Stück „Die Räuber“, das im Jahre 1781 uraufgeführt wurde und ihn letztendlich im darauffolgenden Jahr zur endgültigen Flucht aus Carl Eugens Schwabenreich zwang. Aus dem studierten Militärarzt der Württembergischen Armee wurde der epochenmachende Literat, der im thüringischen Weimar Seite an Seite mit Goethe lebte und wirkte – nicht ohne Heimweh, denn als Schwabe fühlte er sich stets.

In Wirklichkeit nur einmal vorhanden und nicht ganz so bunt: Das Stuttgarter Schillerdenkmal (Collage: Hemberger).
In Wirklichkeit nur einmal vorhanden und nicht ganz so bunt: Das Stuttgarter Schillerdenkmal (Collage: Hemberger).

Sein Tod am 9. Mai 1805 erschütterte das fortschrittliche Bürgertum in den deutschen Landen und entfachte umgehend die Diskussionen, wie der „Dichterfürst“ angemessen gewürdigt werden könnte. In Württemberg brachte die erste Stuttgarter Schillerfeier im Jahre 1825, ausgerichtet vom liberalen Stuttgarter Liederkranz, Bewegung in die Denkmalpläne. Deutschlandweit wurden Spenden gesammelt und der seiner Zeit begehrteste Bildhauer, Bertel Thorvaldsen, erklärte sich bereit, ohne Honorar das Standbild auszuführen. Als Standort wurde bewusst der Alte Schlossplatz (heute: Schillerplatz) gewählt, einen Steinwurf von der damaligen Residenz der Württembergischen Könige entfernt.

In der allgemeinen Schillerbegeisterung jener Jahre war die Gründung des Marbacher Schillervereins am 9. Mai 1835 ein weiterer Baustein, das Andenken und geistige Erbe Schillers systematisch zu fördern und zu sichern. Als am 8. Mai 1839 das Stuttgarter Denkmal mit einem großen Volksfest enthüllt wurde, sahen liberale Kreise darin ein Symbol des Sieges über den alten Despotismus. Verschnupft reagierten lediglich einige Marbacher, die sich laut dem Chronisten Hermann Kurz eine solche zentrale Gedenkstätte nur in Schillers Geburtsort vorstellen konnten: „Alles wollen sie  an sich ziehen! (…), und nun haben sie auch noch Den da!“ (Hermann Kurz, zitiert nach: Davidis, 150 Jahre Schiller-Denkmal, S. 11).

Doch die Marbacher zogen nach: 1859 richteten sie in Schillers Geburtshaus eine Gedenkstätte ein, 1876 folgte das obligatorische Denkmal und im Jahre 1903 schließlich das große Schiller-Museum, das heute ein Teil des Deutschen Literaturarchivs Marbach ist. Schiller für alle!


Zum Weiterlesen und -forschen:

Liebe und Gerechtigkeit aus der Fabrik – Gustav Werner als Pionier der Sozialdiakonie

Ein Kommentar

7. Mai 1851 | „Die hießige Papierfabrik (…) stand seit zwei Jahren verlassen da, auf sie hatte ich schon längere Zeit mein Auge gerichtet; (…) Aber die steigende Noth in der Menschheit, die drohende Zukunft, die Mahnungen des Herrn drangen immer stärker auf mich ein, und ließen mir keine Ruhe; (…) am Pfingstmittwoch den 22. Mai schloß ich den Kauf rasch in einer frühen Morgenstunde ab, ohne auch nur meinen nächsten Freunden etwas davon zu sagen (…).“ (Gustav Werner in: „Der Friedensbote. Eine Zeitschrift für das Reich Gottes“, 1851, 2. Heft, S. 52-53).

Des Volkes Stimme | Liebe und Gerechtigkeit - Gustav Werners christliche Fabriken

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Werners Schilderungen, wie er im Morgengrauen vom Wanderprediger zum christlichen Fabrikbesitzer geworden war, gewähren nicht nur einen Einblick in das Seelenleben eines Einzelnen. Vielmehr spiegelt sich darin auch die Suche der Gesellschaft nach Antworten auf die „soziale Frage“. In Württemberg grassierten Hunger, Armut und Hoffnungslosigkeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts besonders stark. Während in Baden Revolutionäre wie Hecker und das Ehepaar Struve tatkräftig für die Republik stritten und europaweit erste sozialistische Gruppierungen die Überwindung von Ungleichheit und Unterdrückung einforderten, wollte Gustav Werner seinen Mitmenschen einen gottgefälligen Weg zu Liebe und Gerechtigkeit ebnen. Er erkannte, dass Teilhabe an der Gesellschaft und individuelle Würde eng mit der eigenen Hände Arbeit verbunden ist.

Mit dem am 7. Mai 1851 in Reutlingen eingeweihten Bruderhaus, einer Hausgemeinschaft mit angeschlossener Papierfabrik, beabsichtigte er, das „Reich Gottes“ stückweise auf Erden erfahrbar zu machen. 130 Menschen fanden hier ihr Auskommen. Zugleich setzte Werner in der Frühphase voraus, dass sich die Arbeitenden als fromme Christenmenschen zeigten: „(…) ich weise auch fast immer Leute ab, welche bei mir Hilfe und Arbeit suchen und dabei vorwenden, daß sie meine Vorträge hören.“ (ebd., S. 74). Er persönlich erblickte in der Industrialisierung das Wirken Gottes und trieb die Expansion des Bruderhausvereins mit seinen „christlichen Fabriken“ energisch voran. Doch schon zwei Jahre später zeigten sich offensichtliche Probleme seines Modellversuchs: Die Fabrik war unrentabel, immer mehr Arbeitskräfte kamen von außen und waren nicht in der frommen Hausgemeinschaft organisiert. Der württembergische Staat musste im Jahre 1865 sogar Werners Unternehmen retten, doch nach der Ausgabe von Anteilsscheinen (Aktien) stellte sich eine relative Stabilität ein.

Besonders erwähnenswert ist der Umstand, dass Gustav Werner Menschen mit Behinderung, im damaligen Jargon „halbe Kräfte“ genannt, als selbstbewusste Arbeitskräfte ernst nahm und ihnen Arbeit gab. Die Gründung der „Gustav Werner-Stiftung zum Bruderhaus“ im Jahr 1882 setzte ein Ausrufungszeichen hinter die Idee der Integration von behinderten Menschen in den Alltag und wirkt bis heute fort.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • BruderhausDiakonie: Homepage der Stiftung Gustav Werner.
  • Hartmut Zweigle: „Herrschen mög‘ in unseren Kreise Liebe und Gerechtigkeit!“ Gustav Werner – Leben und Werk, Stuttgart 2009.

Gebildet in der Kneipe – der Mannheimer Arbeiter-Bildungs-Verein

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23. April 1861 | Eine Kneipe als Hort der Bildung? Statt Gesprächen auf Stammtischniveau geistige Konversationen? Warum nicht! Als am 23. April 1861 in der Gastwirtschaft „Halber Mond“ in den Mannheimer Quadraten der Arbeiter-Bildungs-Verein gegründet wurde, war dies ein deutliches Signal des Bildungs- und Emanzipationshungers des Proletariats an Rhein und Neckar.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts brachen sich massive wirtschaftliche und soziale Veränderungen auf deutschem Boden die Bahn. Städte wie „Monnem“ (Mannheim) entwickelten sich von handwerklich geprägten Siedlungen zu Zentren des industriellen Fortschritts. Mit den Schornsteinen und Fabrikhallen wuchs die Zahl derer, die ihre Arbeitskraft in Zehn- oder Zwölfstundenschichten an die Unternehmerschaft verkauften und fortlaufend Mehrwert für diese erarbeiteten. In der Zeit des Vormärz (1830 bis 1848) wuchs unter Handwerkern und ArbeiterInnen, allen voran in den deutschen Ländern, in Belgien, der Schweiz, Frankreich und England das Bedürfnis, sich zusammenzuschließen, die Interessen ihrer Klasse zu vertreten und den eigenen Lebensstandard zu verbessern.

Eichelsdörfer wusste: Der Bildungshunger der Massen muss gestillt werden (Bildnachweis: Generallandesarchiv Karlsruhe; Bearb.: HdG BW/Hemberger).
Eichelsdörfer wusste: Der Bildungshunger der Massen muss gestillt werden (Bildnachweis: Generallandesarchiv Karlsruhe; Einfärbung.: HdG BW/Hemberger).

Radikale sozialistische Vordenker wie Wilhelm Weitling, Karl Marx und Friedrich Engels setzten sich in solchen Vereinigungen wie dem „Bund der Gerechten“ (ab 1847 „Bund der Kommunisten“) dafür ein, nicht nur ein Stück vom guten Leben, sondern den ganzen Kuchen zu erobern. Dies bedeutete auch, durch Selbstbildung das theoretische Handwerkszeug für die politische Revolution zu erlangen. In Mannheim hatten sich zwischen 1844 und 1847 Handwerker und Gesellen zu einem Verein zusammengeschlossen; deutschlandweit bündelte der Dachverband „Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung“ die verschiedenen Bildungsvereine der aufstrebenden Klasse. Nach der misslungenen Revolution von 1848/49 wälzte sich eine Verbotswelle durch die Länder, der auch der 1848 wieder aufgeblühte Mannheimer Verein zum Opfer fiel. Der Hunger nach Bildung und politischer Mitbestimmung war allerdings so groß, dass die Arbeiterbewegung rasch die Durststrecke überwinden konnte.

Der gelernte Schuhmacher Johann Peter Eichelsdörfer war in Mannheim eine treibende Kraft bei der Gründung des Arbeiter-Bildungs-Vereins im Jahre 1861, dem ersten dieser Art in Baden. Während sich in Leipzig im Jahre 1863 mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) unter der Führung Ferdinand Lassalles eine politische Partei bildete, fand sich in Frankfurt am Main am 7. Juni desselben Jahres der „Verband deutscher Arbeitervereine“ zusammen. An der Zusammenkunft zahlreicher Arbeiter-Bildungsvereine, auch liberaler Prägung, nahm Eichelsdörfer teil.  Er forderte in seiner Rede den Unterricht in „Elementargegenständen“ wie Lesen, Buchhaltung, Warenkunde, aber auch sittlichen Unterricht. Konsequent wurde in der Abschlussresolution die „geistig[e], politisch[e], bürgerlich[e] und wirtschaftlich[e] Hebung des Arbeiterstandes“ als Ziel ausgegeben.

„Wissen ist Macht“, betonte der Sozialist Wilhelm Liebknecht, der selber in den 1840ern Volksschullehrer im Schweizer Exil gewesen war. In Mannheim eroberten sie diese Macht seit 1861 Seite um Seite, Vortrag für Vortrag – nicht nur im „Halben Mond“.


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