Im Notfall – Die Björn Steiger Stiftung hilft Leben zu retten

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7. Juli 1969 | Sein kurzes Leben fand ein tragisches Ende: Nach einem Schwimmbadbesuch wurde der erst acht Jahre alte Björn Steiger am 3. Mai 1969 von einem Auto angefahren. Bis der Krankenwagen eintraf, war rund eine Stunde vergangen und der Junge verstarb auf der anschließenden Fahrt ins Krankenhaus an einem Schock. Das Unglück versuchten Björns Eltern, Siegfried und Ute Steiger, aktiv zu verarbeiten und veränderten dabei grundlegend die Notfallrettung. Krankenwagen waren in jenen Jahren noch unregelmäßig und ohne Sprechfunk unterwegs, die Notfallnummern 110 und 112 beschränkten sich auf Ballungsgebiete und Notärzte waren eine Seltenheit. Mit der Gründung der Björn Steiger Stiftung am 7. Juli 1969 wollten die Steigers auf diese Mängel hinweisen und die politisch Verantwortlichen zum raschen Handeln bewegen.

Siegfried Steiger (links) überreicht 1969 eine von rund 100 Funksprechanlagen für Krankenwagen (Bildnachweis: Björn Steiger Stiftung).

Während sich Bund und Länder noch über die Zuständigkeit und die Kosten stritten, beschaffte die Stiftung bis Mitte 1970 rund 100 Funksprechanlagen für Krankenwagen. Die Region Nordwürttemberg rund um den Wohnort der Steigers Winnenden wurde auf deren Bemühungen hin zum Testgebiet für die kostenlose und flächendeckende Notrufnummer. Weil die Bundesregierung zögerte, begann die Stiftung, die Aufstellung von orangenen Notrufsäulen an Autobahnen und Bundesstraßen mit Nachdruck voranzutreiben.

Den Schnellbergungswagen entwickelt die Steiger-Stiftung in den 1970er Jahren gemeinsam mit der Feuerwehr Stuttgart und (ko)finanziert die Anschaffung von zehn Wagen. Eingeklemmten AutofahrerInnern kann nun mit schwerem Gerät geholfen werden (Bildnachweis: Björn Steiger Stiftung).

Mit den wachsenden Geschwindigkeiten im Straßenverkehr stiegen die Unfallzahlen und damit die Anzahl jener Menschen, die ohne komplizierte medizinische Eingriffe im Krankenhaus dem Tode geweiht waren. Als im Jahre 1972 die Finanzierung eines dringend gebrauchten zweiten Rettungshubschraubers auf der Kippe stand, sammelte die Björn Steiger Stiftung mit dem Verkauf von Benefiz-schallplatten sowie der Verpfändung des Wohnhauses des Ehepaars Steiger ausreichend Geld. Die Gründung der „Deutschen Rettungsflugwacht“ (heute: DRF Luftrettung) war ein weiterer Baustein zur Notfallrettung. 1974 machte das „Rettungsmodell Rems-Murr“ Schlagzeilen, handelte es sich doch um das erste wissenschaftlich erstellte Konzept für den Aufbau einer flächendeckenden Notfallhilfe.

 

Die folgenden Jahrzehnte waren geprägt durch innovative Vorschläge und Projekte, wie beispielsweise die Einführung eines speziellen Notarztwagens für Säuglinge (1974), die ersten Schritte zur Schaffung des Berufes Rettungssanitäter (1976) oder die Kampagne „Kampf dem Herztod“ (2001), die Defibrillatoren in öffentliche Gebäude brachte.  Seit 2007  lernen SchülerInnen ab der siebten Klasse durch die Kampagne „Retten macht Schule“ Wiederbelebungstechniken. Den Vorschulkindern zeigt die Stoffpuppe „Ritter Björn“, wie kinderleicht es ist, praktisch zu helfen.


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„Aktion Roter Punkt“ – Kreativ gegen Fahrpreiserhöhungen

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1. Juli 1971 | Ein kleiner roter Punkt an der Windschutzscheibe wurde in Esslingen zum Symbol eines über Wochen geführten Protests. An der Spitze der Bewegung standen Schülerinnen und Schüler sowie junge Auszubildende, die allen Grund hatten, auf die Barrikaden zu gehen. Auslöser war die Ankündigung der Städtischen Verkehrsbetriebe Esslingen sowie der Straßenbahn Esslingen-Nellingen-Denkendorf (END), ihre Fahrpreise zum 1. Juli zu erhöhen; Schülermonatskarten für die END sollten sich damit um rund 50% verteuern.

 

Die Idee hinter dem roten Punkt: An festgelegten Haltepunkten sollten mit dem Punkt gekennzeichnete Privatfahrzeuge Fahrgäste mitnehmen, die sonst regulär den ÖPNV nutzten. Damit sollte Druck auf die Verkehrsbetriebe ausgeübt werden. Um den Protest gegen die Fahrpreiserhöhungen vorzubereiten, gründete sich ein Aktionskomitee, das hauptsächlich von der linksradikalen „Gruppe Internationaler Marxisten (GIM)“ und der „Revolutionär-Kommunistischen Jugend (RKJ)“ gestellt wurde, zu dem allerdings auch die „Ökumenische Jugend“ sowie die örtliche „Naturfreundejugend“ gehörten. Die Forderungen, mit denen die Aktivisten an die Öffentlichkeit traten, boten eine visionäre Perspektive:

Für sofort: Keine Fahrpreiserhöhung; Für den Übergang: Einführung eines Einheitstarifs von 50 Pfennig; Endgültig: Nulltarif für alle, d.h. freie Fahrt zu Ausbildungsstätte und Arbeitsplatz.“ (Flugblatt Nr. 1, 8. Juni 1971)

Ab dem Jahr 1969 war in verschiedenen westdeutschen Städten mit der „Roten Punkt“-Aktion auf Fahrpreiserhöhungen reagiert worden, so beispielsweise in Hannover und West-Berlin. Die Spontiband „TON, STEINE, SCHERBEN“ hatte dem Protest sogar ein eigenes Lied („Mensch Meier“) gewidmet.

 

Am 25. Juni 1971 zogen SchülerInnen lautstark durch Esslingen und begannen mit der Sammlung von Unterschriften gegen die Fahrpreiserhöhungen. Nach eigenen Angaben sollen bis zum Ende der Aktion rund 10.000 Menschen unterschrieben haben. Mit kurzzeitigen Blockaden der Straßenbahn rund um den Esslinger Bahnhof fand fünf Tage später die Generalprobe für die kommenden Wochen statt. Pünktlich zu den neuen Preisen tauchten am 1. Juli erste PKW mit dem roten Punkt auf, die vom Aktionsstand am Bahnhof koordiniert wurden. Was zunächst schleppend anlief, funktionierte mit der Zeit immer besser. Die kommenden Wochen waren geprägt von Demos und Blockaden, wobei es immer wieder zu Spannungen zwischen der Polizei und den Demonstranten kam. Vermeintliche und reale Anführer des Protests wie der junge Metzger Wilfried Schindler wurden für sieben Tage in polizeilichem Gewahrsam festgehalten. Zwar zeigten sich lokale Gewerkschaftsvertreter verständnisvoll für das Anliegen der jungen Leute, doch mochten Mitglieder des Personalrats der Straßenbahnen nicht gegen ihren Arbeitgeber aufbegehren.

Alarmiert setzte der Esslinger Oberbürgermeister Eberhard Klappenroth eine Erhöhung der städtischen Zuschüsse für Schülerzeitkarten durch und nahm dadurch der „Roten Punkt“-Aktion den Wind aus den Segeln, die Ende Juli 1971 eingestellt wurde.

 

Rein provisorisch? – Württemberg-Baden wählt seine Verfassunggebende Versammlung

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30. Juni 1946 | Die Menschen der Nachkriegszeit mussten lernen, mit Provisorien zu leben: Notdürftig wiederhergestellte Wohnungen, kurzzeitige Arbeitsstellen, ja sogar beim Backen wurde improvisiert, denkt man an Bucheckern- und Kartoffelmehlbrot. Dass es mit so etwas Wichtigem wie der Landesverfassung auch nur etwas Vorübergehendes werden würde, war eine Befürchtung vieler Menschen in Württemberg-Baden, wie einem Kommentar in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 3. Juli 1946 zu entnehmen war.

Stuttgarter Zeitung, 27. Juni 1946, S. 5 (Bildnachweis: HdGBW).

Woher die Unsicherheit? Seit Anfang 1946 kümmerte sich eine Vorläufige Volksvertretung, bestehend aus politischen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Kommunalvertretern, um den demokratischen Aufbau  in Württemberg-Baden. Über all dem wachte die US-amerikanische Militärregierung, die im Februar 1946 den nächsten Schritt anordnete: die Erarbeitung einer Landesverfassung, die zugleich keine Aussagen über die weitere Gestaltung einer gesamtdeutschen Zukunft enthalten dürfe. Dienstbeflissen machte sich eine Vorbereitende Verfassungskommission an die Arbeit und legte am 15. Juni einen Entwurf vor. Jedoch erst die Verfassunggebende Landesversammlung (VLV) sollte die abschließende Formulierung festlegen.

In Sitzen schlug sich das Ergebnis wie folgt nieder: CDU (41), SPD (32), DVP (17), KPD (10) (Bildnachweis: HdGBW).

Am 30. Juni 1946 waren die Wahlberechtigten in Württemberg-Baden aufgerufen, besagtes Gremium zu bestimmen. Zur Wahl standen CDU, SPD, die liberale Demokratische Volkspartei (DVP) und die KPD. Land und Stadt wurden mit Wahlwerbung und Kundgebungen überzogen. Auf einer CDU-Wahlversammlung in Uhingen appellierte der später in die VLV gewählte Göppinger Landrat Gotthold Brendle: „Nicht wählen heißt also, den Frieden sabotieren, die Wiederkehr der Ordnung verzögern.“ Die Christdemokraten machten sich für eine christliche Staatsauffassung mit Gottesbezug in der Verfassung stark und wollten dem „Totalitarismusanspruch der Diktatur ebenso wie [der] totalitäre[n] Demokratie“ entgegentreten, wie es Wilhelm Simpfendörfer, der spätere Präsident der VLV in einem Beitrag in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 22. Juni 1946 klarstellte. Damit wandte sich die CDU gegen die Forderungen der KPD, die das „uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht des Volkes“ durch möglichst direkte Mitbestimmung und den Verzicht auf den Staatsapparat vermeintlich zum Durchbruch verhelfen wollte. Als Zugpferd im Wahlkampf setzten die Kommunisten auf Richard Scheringer, jenen berühmten Reichswehrleutnant, der 1931 aus der NSDAP aus- und als Antifaschist in die KPD eingetreten war.

 

Auch die DVP bemühte die Erinnerungen an die Weimarer Republik und wies auf die Verdienste ihrer liberalen Vorgängerpartei hin, die als Teil der Landesregierung Württemberg für Stabilität gestanden hätte. Ihr Spitzenkandidat Reinhold Maier bezog sich positiv auf die Württembergische Verfassung von 1919: „Wir hatten gebauet ein stattliches Haus“, zitierte er ein liberales Studentenlied des 19. Jahrhunderts. Die SPD trat mit Forderungen nach einer volksnahen Rechtspflege, gerechten Löhnen und dem Recht auf Eigentum bei gleichzeitiger Verpflichtung des Wirtschaftens zum Wohle der Allgemeinheit an die Öffentlichkeit.

67,5 % der Wahlberechtigten stimmten ab und am 15. Juli traten die 100 gewählten Mitglieder der VLV in Stuttgart zusammen. In den kommenden Monaten entstand jener Verfassungsentwurf, der in einer Volksabstimmung am 24. November 1946 mehrheitlich angenommen wurde. Lange blieb die Verfassung allerdings nicht in Kraft: Bereits 1953 wurde sie von der baden-württembergischen Landesverfassung abgelöst – letztendlich also doch ein Provisorium.


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Besondere Eidgenossen – Die Freundschaft Rottweil-Brugg hält seit über einem Jahrhundert

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28. Juni 1913 | Wie viele bemerkenswerte Freundschaften hat die Weltgeschichte hervorgebracht: Goethe und Schiller, Marianne Weber und Marie Baum, Äffle und Pferdle. Ein guter Freund, eine gute Freundin sind in Leid und Freud an deiner Seite. Wenn Freundschaften über Jahrhunderte andauern, dann sind sie etwas ganz Besonderes. Seit genau 500 Jahren (1519) besteht zwischen Rottweil und der Schweizer Eidgenossenschaft ein „Ewiger Bund“, der eine im Jahre 1463 angebahnte eidgenossenschaftliche Freundschaft auf eine neue Stufe hob. Für Süddeutschland ein einmaliger Sonderfall und in Rottweils Geschichte ein Glanzlicht: die einstige Zugehörigkeit zur Schweizer Eidgenossenschaft.

Des Volkes Stimme | Eidgenossen - Die älteste deutsche Städtepartnerschaft Brugg - Rottweil

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Der Besuch des Brugger Männerchors „Frohsinn“ am 28. Juni 1913 in Rottweil und der anschließende gemeinsame Auftritt mit den Rottweiler Sängern des Männergesangvereins schlug ein neues Kapitel der Städtefreundschaft auf; es war zugleich der Beginn der ersten modernen Städtepartnerschaft überhaupt. Die Freundschaft zwischen Brugg und Rottweil galt als Muster und Vorbild aller späteren Städtepartnerschaften im deutschsprachigen Raum. Die Schweizer hatten sich umfassend auf ihren Auftritt bei den „Neckarschweizern“ vorbereitet, was eine eigens angefertigte 15-seitige Broschüre ihres Sangesbruders Ernst Laur über die Geschichte der grenzübergreifenden Verbindung bezeugt. 1914 brachen 90 Rottweiler Sänger zum Gegenbesuch auf, der von Schweizer Seite ebenso begeistert aufgenommen wurde. Mit Geld- und Sachspenden sowie Schulspeisungen – „Brugger Volksküche“ genannt – , halfen die Schweizer nach den Weltkriegen ihren notleidenden deutschen Freunden. Als weitere Zeichen der Freundschaft gab es Straßenbenennungen in beiden Städten, 2003 wurde auch eine Freundschaftslinde in Brugg gepflanzt.

Schweizer aus Brugg zu Besuch bei den „Neckarschweizern“ in Rottweil. Gruppenbild vom 28. Juni 1913 (Bildnachweis: Stadtarchiv Rottweil).

Trotz regelmäßiger Besuche und grenzübergreifender Vereinskontakte fehlte etwas, wie sich Edgar Enderle aus Rottweil erinnerte. Kurzerhand gründete er im Jahre 2000 gemeinsam mit achtzehn Schweizbegeisterten den Freundeskreis „Rottweiler Freunde von Brugg“, der allen Bürgerinnen und Bürgern offensteht. Die Völkerverständigung möchten die Mitglieder durch direkte Beziehungen zwischen den Menschen vorantreiben, erklärt Enderle als Präsident des Freundeskreises Brugg. Regelmäßige Feste wie die Rottweiler Fasnet, das Rottweiler Stadtfest sowie das Jugendfest in Brugg geben einen geselligen Anlass für gegenseitige Besuche, die gemeinsam mit dem Schweizer Verein „Brugger Freunde Rottweil“ abgestimmt werden. Die zwischenmenschlichen Freundschaften seien Motoren der Städtepartnerschaft, betont Enderle, der selber eine Freundschaft zur Brugger Familie Lardon pflege.

Dass Freunde sich verändern können, die Verbindung jedoch bestehen bleibt, zeigt sich am Männergesangverein „Frohsinn“. Seit 2002 tritt er als gemischter „Chor 02 Region Brugg“ auf und hat zuletzt im Jahre 2013 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der  Städtefreundschaft einen gemeinsamen Auftritt mit den Rottweiler Sangesfreunden der heutigen Chorgemeinschaft absolviert. Überhaupt sei die Freundschaft für die Zukunft gut gerüstet, merkt Edgar Enderle beruhigt an. Die junge Generation komme über die örtlichen Musikschulen, über die Stadtkapellen und die Feuerwehren regelmäßig in Kontakt und auch die Stadtverwaltungen möchten das Band der Eidgenossenschaft weiter flattern lassen. Brugg und Rottweil ist „eine unserer schönsten Freundschaften“, eine „tiefe und lebendige“ Partnerschaft, die sich auch in schwerer Zeit bewährt hat, so der Stadthistoriker Winfried Hecht.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Winfried Hecht: Eine Freundschaft durch die Jahrhunderte. Die Schweizer Eidgenossenschaft und Rottweil, Rottweil 2013.
  • Rottweiler Freunde von Brugg: Homepage.
  • Brugger Freunde von Rottweil: Homepage.

Sie sollen stempeln gehen! – Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926

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20. Juni 1926 | Mein, dein, unser? Die aktuelle deutsche Enteignungsdebatte hat berühmte Vorgängerinnen in der jüngeren Geschichte, die weit schärfer ausgefochten wurden. Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung von 1926 war zugleich ein demokratiegeschichtlicher Meilenstein der Weimarer Republik. In der Reichsverfassung von 1919 war ausdrücklich die Möglichkeit der Volksgesetzgebung festgehalten: Bürgerinnen und Bürger konnten mittels Volksbegehren und Volksentscheid politisch bindende Entscheidungen treffen. Neben einem Gesetz, das bis dato reichsweit kein einziges Mal angewendet worden war, saß das Volk (genauer der Staat) auf weiteren Revolutionspfründen, nämlich dem Vermögen deutscher Fürstenhäuser, welches nach deren Entmachtung eingezogen worden war. In Verhandlungen und gerichtlichen Vergleichen versuchten die alten Machthaber ihr Vermögen wieder zu erlangen. Als Reaktion entfaltete die KPD ihre Kampagne für einen Volksentscheid zu deren entschädigungsloser Enteignung, Motto: „Keinen Pfennig den Fürsten! Sie sollen stempeln gehen!“

Im Blätterwald rauschte es heftig Für und Wider den Volksentscheid. Schlagzeilen vom 18./19. Juni 1926 aus dem Oberländer (bürgerlich/katholisch, für Saulgau und Hohenzollern), Der Zoller (bürgerlich/ katholisch, für die Hohenzollerschen Lande), Schwäbischer Merkur (deutschnational, für Schwaben), Volksfreund (sozialdemokratisch, für Mittelbaden), Arbeiter-Zeitung (kommunistisch, für Baden – vom 3. März 1926) (Collage: HdGBW/Hemberger).

Zunächst zögerte die sozialdemokratische Parteiführung, schloss sich jedoch schlussendlich der Bewegung an. Auch Gewerkschaften und Teile des linksliberalen Bürgertums sowie der katholischen Zentrumspartei verhalfen dem Volksbegehren zum beachtlichen Erfolg: 12,5 Millionen der 39,4 Millionen Wahlberechtigten trugen sich in die Wahllisten ein und machten somit den Volksentscheid möglich. Nicht zuletzt die Hoffnung, mit dem Vermögen dringende soziale Maßnahmen finanzieren zu können, einte die Lager.

Auch in den eher konservativ geprägten Hohenzollerischen Landen entbrannte nun der Kampf um des Volkes Stimme. In einer Leserzuschrift an den „Oberländer“ („Tagesblatt für Saulgau und Hohenzollern“) warnte ein Landwirt vor der „Untergrabung des Rechtsempfindens“ und der „Abschaffung jeden Privateigentums“: „Was heute dem einen geschieht, wird nach und nach den anderen treffen (…)“. Andere Stimmen in ähnlichen Tageszeitungen sahen „gottlosen Bolschewismus“ dämmern und druckten breit den Aufruf der Kirchen, dem Volksentscheid fernzubleiben und somit die Fürstenenteignung abzuwenden. Die badische SPD-Zeitung „Volksfreund“ berichtete stattdessen von einer „originellen Demonstration“ der SPD- und KPD-Abgeordneten im (Schwäbisch) Haller Stadtparlament. Als Antwort auf die abgelehnte Verhandlung über einen Wahlaufruf zum Volksentscheid ließen Aktivisten Inflationsgeld von der Empore regnen, das schließlich fusshoch auf Boden und Tischen lag und die Sitzung beendet werden musste.

Der Volksentscheid scheiterte, da „nur“ 14,5 Millionen Menschen mit „Ja“ gestimmt hatten (rund 36 % der Wahlberechtigten; zum Vergleich: „Ja“ in Württemberg: 34 % und in Baden: 38 % ) – mindestens 50 % hätten ihre Zustimmung kundtun müssen. Auch wenn Ex-Kaiser Wilhelm II. von „14 Millionen Schweinehunden in Deutschland“ sprach, war doch der Fürstenentscheid ein respektabler Versuch, die Diskussion um soziale Gerechtigkeit und Vermögen auf ein neues demokratisches Niveau zu heben.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Otmar Jung: Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzungen zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, 2 Bde.,  Hamburg 1996.
  • Thomas Schnabel: Niederlage der Monarchisten und Niederlage der Demokraten : Volksbegehren und Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926 in Württemberg, in: Reinhold Weber (Hg.): Der deutsche Südwesten : regionale Traditionen und historische Identitäten. Hans-Georg Wehling zum Siebzigsten, Stuttgart 2008. S. 83-104.
  • Ulrich Schüren: Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926. Die Vermögensauseinandersetzung mit den depossedierten Landesherren als Problem der deutschen Innenpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Preußen (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 64), Düsseldorf 1978.

Schwäbische Bastille – Die Festung Hohenasperg soll Gedenkstätte werden

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17. Juni 1980 | Beinahe majestätisch thront die Festung Hohenasperg auf einer Anhöhe nahe Ludwigsburg. Wen schützten deren trutzige Mauern? Die, die darin leben (mussten) oder all jene, die draußen wohnten? Über Jahrhunderte hinweg war die Festung Ausdruck staatlicher Macht und ein Symbol dafür, wie mit echten oder vermeintlichen Verbrechern umgegangen wurde. Auffällig viele politische Gefangene saßen hier ein. Ihre Biografien verraten einiges über die jeweilige Gesellschaft, in der sie lebten. Nach harter Kritik am Beamtenstaat kam Friedrich List im Jahre 1824 für ein Jahr hinter Schloss und Riegel und die Verhaftungswelle nach der Revolution von 1848/49 machte den Hohenasperg zum „Demokratenbuckel“, wurden hier doch Revolutionäre vom Schlage eines Gottlieb Rau interniert. Auch Revolutionäre von 1918/19 wie Fritz Rück und Mitglieder der KPD wurden während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus hier eingesperrt. Die NS-Behörden richteten zudem zeitweise innerhalb der Mauern ein Sammellager für Sinti und Roma, für „Asoziale“ und an Tuberkulose erkrankte Häftlinge ein.

Das idyllische Bild trügt. Auch im 19. Jahrhundert war die Festung Hohenasperg ein Ort des Strafens. Die kolorierte Zeichnung des Innenhofs fertigte Johann Baptist Bauernfeind um 1849 an (Bildnachweis: Gabelin, Backnang).

In der Nachkriegszeit wuchs die Bedeutung des Hohenasperg als Gefängniskrankenhaus: Die Mauern sahen Gefangene wie den „Remstalrebell“ Helmut Palmer oder das RAF-Mitglied Günter Sonnenberg (ab 1977). Dessen Zwangsernährung wurde öffentlich heiß diskutiert und von der RAF als Beweis für ein System der „Vernichtungshaft“ ausgeschlachtet. Scharfe Kritik an den allgemeinen Haftbedingungen brachte auch der Psychiater Achim Mechler vor, der im Jahr 1979 seinen Dienst als Chef des Vollzugskrankenhauses quittiert hatte. Was hinter Gittern geschah, war immer weniger Menschen gleichgültig.

 

Mit einer Sternwanderung und einer Kundgebung am 17. Juli 1980 forderten rund 1.000 Teilnehmende in Ludwigsburg  ein Mahnmal für die freiheitlich-demokratische Bewegung in Württemberg. Zwei Jahre zuvor hatte der Historiker und Aktivist Horst Brandstätter mit seinem Buch „Asperg. Ein deutsches Gefängnis“ die Idee einer Gedenkstätte aufgebracht. Auf der Kundgebung von 1980 schlug die Schriftstellerin Luise Rinser vor, statt dem „Symbol für Law und Order“ ein Zeichen des Verbindenden zu setzen, beispielsweise mit einem Haus für schöpferische Arbeit für Jugendliche.

Mit der Eröffnung der Ausstellung „Hohenasperg – Ein deutsches Gefängnis“ im Jahr 2010 fand der Einsatz Brandstätters und des Aktionsbündnisses „Gedenkstätte Hohenasperg“ einen erfolgreichen Abschluss.  Was ist Recht, was Unrecht? Was bedeutet Freiheit, was Gefangenschaft für den Menschen? Ausgewählte Biografien  sollen hierzu Einblicke bewähren und zum Nachdenken anregen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Haus der Geschichte Baden-Württemberg: Onlineauftritt Zweigmuseum Hohenasperg.
  • HdG BW (Hrsg.): Hohenasperg – Ein deutsches Gefängnis. Katalog zum Museum im Arsenalbau der Festung Hohenasperg, Stuttgart 2011.
  • HdG BW (Hrsg.): Asperg – Ein deutsches Gefängnis. Der schwäbische Demokratenbuckel und seine Insassen: Pfarrer, Schreiber, Kaufleute, Lehrer, gemeines Volk und andere republikanische Brut. Mit Abschweifungen über Denunzianten und Sympathisanten in alter und neuer Zeit. Zusammengestellt von Horst Brandstätter, mit einer Einführung von Jürgen Walter und einem Beitrag von Franziska Dunkel, Ubstadt-Weiher 2015.
  • Fridtjof Theegarten: Der Tränenberg soll Kulturstätte werden, in: Stuttgarter Nachrichten 18.07.1980, S. 9.

Auf Schusters Rappen – Der Schwarzwaldverein erwandert den Südwesten

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8. Juni 1864 | Wo es bei jedem Schritt nach Tannenharz durftet, wo die Waldspitzmaus der badischen Quellschnecke begegnet und wo Wandersleute von der Hornisgrinde oder dem Belchen ins Land schauen können, dort liegt der sagenhafte Schwarzwald. Wie kaum ein anderes Gebiet in Deutschland ruft der Schwarzwald romantische Heimatgefühle hervor, steht für unberührte Natur und frische Luft. Dieses positive Image hat er nicht erst seit Kurzem. Einheimische begannen schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts damit, das Gebiet zwischen Pforzheim in Norden und Rheinfelden im Süden touristisch zu erschließen. Am 8. Juni 1864 gründete sich in der Freiburger Gaststätte „Renz’scher Felsenkeller“ der „Badische Verein von Industriellen und Gastwirthen zum Zweck, den Schwarzwald und seine angrenzenden Gegenden besser bekannt zu machen.“ Der unerhört lange Name war schon drei Jahre später Geschichte, als man sich kurz und tannenzapfenknackig in „Schwarzwald-Verein“ umbenannte. Im Jahre 1884 folgte ein württembergisches Pendant, ehe sich beide Vereine 1934 zusammentaten.

 

Rauten zieren ihre Wege: Philipp Bussemer und Julius Kaufmann markierten für den badischen Schwarzwaldverein im Jahr 1900 mit kleinen roten Rautenschildern den Westweg, der sich 279 Kilometer von Pforzheim nach Basel schlängelt. Das Zeichen des ersten europäischen Fernwanderwegs wurde zugleich zum Wappensymbol des Vereins. Heute zieht sich ein ganzes Netz gut ausgebauter und -geschilderter Wanderwege durch den Schwarzwald.

Mit der roten Raute markiert der Schwarzwaldverein seinen Wanderweg „Westweg“ von Pforzheim nach Basel (Bildnachweis: HdGBW).

Deutschlands ältester Wanderverein baute im 19. Jahrhundert zahlreiche Aussichtstürme (beispielsweise auf der Hornisgrinde), gab ab 1893 Wanderkarten heraus und richtete Wanderheime ein. Der Naturschutz spielte eine weitere gewichtige Rolle. In den 1920er Jahren gingen die Mitglieder gegen einen Stausee im Schluchtal in Südbaden auf die Barrikaden und erwirkten die Einrichtung eines Ausgleichs-schutzgebiets in der Wutachschlucht. In der Nachkriegszeit rückten die Zersiedelung der Landschaft und das Waldsterben in den Fokus der Aktivitäten. Unter ihrem Vorsitzenden, dem umweltbewegten Konservativen Hermann Person,  mischte der Verein in der Umweltbewegung der 1980er Jahre mit.


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Keine „verkalkten Säckel“ – Ein Volksentscheid begräbt Badens Unabhängigkeitsbewegung

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7. Juni 1970 | Vierzehn Jahre lang rotierten die Stundenzeiger auf den Schwarzwalduhren in Baden voller Ungeduld, ehe die dritte Runde im Kampf Baden-Württemberg versus unabhängiges Bundesland Baden eingeläutet wurde. De facto hatte die Mehrheit im Südwesten im Zweiten Volksentscheid vom Dezember 1951 der Bildung des Bindestrich-Bundeslands grünes Licht gegeben. Eine Ausnahme bildete Südbaden, wo man landespolitisch lieber Single bleiben wollte. Gruppierungen wie der „Heimatbund Badnerland“ zweifelten an der Rechtmäßigkeit der Volksabstimmung und sollten 1956 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Karlsruhe Recht behalten. Die Abstimmung sei nicht mit den Reglungen im Grundgesetz § 29 konform abgelaufen und müsse wiederholt werden. Über das „Wann?“ machte das Gericht allerdings keine Angabe.

Des Volkes Stimme | Keine „verkalkten Säckel“ – Ein Volksentscheid löst die Badenfrage

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Die Jahre verstrichen und es wuchs immer mehr zusammen, was in den Augen Einiger nicht zusammengehörte. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Landesteilen schwand und Fragen der Identität spielten eine zunehmend untergeordnete Rolle für die junge Generation. Keine „verkalkten Säckel“ seien sie, sondern Menschen, die ein „demokratisches modernes Bundesland am Oberrhein“ wollten, zitierte die Wochenzeitung „Die Zeit“ den Alt-Badener Reinhold Grund am Vorabend des Volksentscheids am 7. Juni 1970.

Die Pro-Baden-Bewegung vereinte sowohl Baden-Romantiker vom alten Schlag als auch kühl Rechnende, die in der Unabhängigkeit Möglichkeiten einer der Zukunft zugewandten Regionalentwicklung sahen. Zugleich fürchtete die Landesregierung unter Ministerpräsident Hans Filbinger, dass Befürworter eines vereinten Baden-Württembergs aus falscher Sicherheit den Urnengang als überflüssig erachteten und die Pro-Badener somit wider Erwarten siegen könnten. Doch die Überraschung blieb beim Volksentscheid aus: 81,9 % der abgegebenen Stimmen waren für Baden-Württemberg; bei einer Wahlbeteiligung von 62,5 % ein stichfestes Votum. In keinem Wahlkreis schafften es die Pro-Badener auch nur annähernd, eine Mehrheit für ihr Ansinnen zu erobern (ihr bestes Ergebnis holten sie im Stadtkreis Karlsruhe mit 36 %). Als am 19. September 1971 eine von Unbeugsamen angestrebte Volksabstimmung am notwendigen Quorum der Mindestteilnehmenden scheiterte, war klar: Der Traum vom souveränen Baden war ausgeträumt.


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Notbremsung – Stuttgarts Straßenbahner lassen kein Rad mehr rollen

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1. Juni 1902 | Stuttgart war stolz auf sein neues Verkehrsmittel: Statt mit Hafer und wenigen Pferdestärken lief die Straßenbahn ab 1895 mit elektrischem Strom. Doch saugte die Tram nicht nur aus den Fahrdrähten Energie, sondern auch aus ihren Fahrern: Arbeitszeiten von bis zu 13,5 Stunden ruinierten die Gesundheit. Eine Besserung war nicht in Sicht, im Gegenteil: Das Direktorium der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) verhinderte aktiv, dass sich ihre Angestellten in Gewerkschaften organisierten. Druck und schlechte Behandlung rufen nur Gegendruck und Verbitterung hervor, fasste der „Courier“, das Gewerkschaftsblatt des „Zentralverbandes der Handels-, Transport-, Verkehrsarbeiter Deutschlands“ die Stuttgarter Misere im Jahre 1902 zusammen.

Revolution ohne Bahnsteigkarte? Eine zeitgenössische Postkarte überspitzt die Auseinandersetzungen und  bezieht zugleich Position für die Streikenden (Bildnachweis: HdGBW).

Ende Mai 1902 zogen die Straßenbahner die Notbremse durch „Streik“. Ihre Forderungen waren zahlreich: Arbeitszeiten von maximal zehn Stunden, längere Pausen, höhere Löhne. Am Morgen des 1. Juni verließ keine Bahn das Depot, woraufhin die SSB die verprellten Kunden informierte, dass der „Bahnbetrieb mit neuen Personal“ in den kommenden Tagen wieder aufgenommen werden würde. In anderen Worten: Das Unternehmen warb aktiv Streikbrecher aus den umliegenden Städten wie beispielsweise Heilbronn an. Dies zog ernsthafte Konsequenzen nach sich, wie die sozialdemokratische Tageszeitung „Schwäbische Tagwacht“ mehrfach berichtete: Die Auswärtigen verursachten Beinahe-Unfälle mit der ihnen nicht vertrauten Technik und erregten die Wut der Stuttgarter Streikenden. Mehrfach kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Streikbrechern und Streikenden sowie zwischen Streikenden und der Polizei. Die Atmosphäre war aufgeheizt und die Polizei griff schnell ein, wenn sich Diskutierende versammelten: „Einzelne Schutzleute fühlten sich dadurch schon als Retter des Staates vor einer drohenden Revolution und zeigten ihre Schneidigkeit im Anfahren und Zurückstoßen des Publikums“, höhnte die „Schwäbische Tagwacht“.

Warum läuft alles? Die Gewerkschaft wollte ihre Position öffentlichkeitswirksam erklären (Anzeige in der sozialdemokratischen Tageszeitung „Schwäbische Tagwacht“ vom 2. Juni 1902).

Während im Hintergrund die zähen Verhandlungen zwischen Belegschaft und SSB-Führung liefen, war der Kampf um die öffentliche Meinung für beide Seiten mindestens genauso wichtig. Im bürgerlich-liberalen Blätterwald war ein verständnisvoller Unterton für die Positionen der Streikenden zu vernehmen. Sogar die Stadt Stuttgart stellte sich offen hinter sie, indem sie der SSB den weiteren Betrieb des Straßenbahnverkehrs untersagte. Ein Gericht kippte die Entscheidung, das SSB-Direktorium erhöhte den Druck und der Streik brach zusammen. Versuche der württembergischen Sozialdemokratie, im Folgejahr das Koalitionsrecht auf parlamentarischen Wege zu verankern, scheiterten ebenso.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Nikolaus Niederich: Stadtentwicklung und Nahverkehr. Stuttgart und seine Straßenbahn 1868 bis 1918 (= Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart, Bd. 79), Stuttgart 1998, S. 396-404.

Frischzellenkur für die Demokratie – Wählen ab 16 in den Kommunen

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25. Mai 2014 | Ein Kreuzchen auf einem Wahlzettel zu machen ist kinderleicht, oder? Zumindest Jugendlichen ab 16 Jahren traute die grün-rote Landesregierung die nötige Reife zu, als sie am 11. April 2013 das Gesetz zur Absenkung des aktiven Wahlalters in Baden-Württemberg auf den Weg brachte. Fünf Tage später trat die Änderung der Gemeindeordnung in Kraft, sodass die Jugend bereits im Folgejahr, am 25. Mai 2014, an die Urnen schreiten durfte. Doch das Recht auf Mitbestimmung blieb auf die Kommunalwahlen beschränkt und die Möglichkeit, aktiv für einen Sitz im Gemeinderat zu kandidieren (passives Wahlrecht), sah die geänderte Gemeindeordnung nicht vor.

Des Volkes Stimme | Frischzellenkur für die Demokratie – Wählen ab 16 in den Kommunen

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Im Vorfeld wurde über Sinn und Unsinn des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren umfassend diskutiert. Die Gegner des Anliegens führten Argumente ins Feld, dass Jugendliche sich noch nicht der Tragweite ihrer politischen Entscheidung bewusst seien oder dass sie verstärkt radikalen Parteien ihre Stimme geben würden. Gemäßigt-kritische Personen gaben zu bedenken, dass mit den Jugendgemeinderäte in verschiedenen Kommunen bereits die Chance gegeben sei, dass junge Menschen unter 18 Jahren ihre Anliegen und Interessen demokratisch legitimiert vertreten könnten. Prinzipiell sei dies richtig, allerdings gäbe es die parlamentarische Vertretung junger Menschen nicht flächendeckend, hielten die Befürworter des Wahlrechts ab 16 entgegen. Man solle der Jugend überhaupt mehr zutrauen, sie frühzeitig an der Gestaltung jener Gesellschaft teilhaben lassen, in der sie leben werden (und in der junge Auszubildende bereits Steuern zahlen).

Die Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 25. Mai 2014 zeigten, dass die jungen Wählerinnen und Wähler weder besonders radikal noch auffällig häufiger wählten als die Über-18-Jährigen. „Verschwende deine Jugend“, forderte die Elektroband D.A.F in den 80er-Jahren – zumindest ihr Stimmrecht klammern zahlreiche Jugendliche heute vom Verschwenden aus.


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