„Wenn der Hahn kräht …“ – der Reutlinger Schulstreik gegen den NC-Erlass

Ein Kommentar

15. April 1970 | „Wenn der Hahn kräht, wachen die Schüler auf!“ Mit diesem Slogan überschrieb die Bezirks-Schülermitverantwortung (SMV) Tübingen-Reutlingen ein Flugblatt, das in den heißen Reutlinger Tagen des Protests von Hand zu Hand ging. Den Begriff „Klassenkampf“ hatten die Schülerinnen und Schüler der Reutlinger Gymnasien wörtlich genommen. Und sie waren nicht die einzigen:  In 40 Städten Baden-Württembergs forderte die junge Generation die Abschaffung des 1968 eingeführten Numerus Clausus, der Zugangsbeschränkung auf besonders gefragte Fächer. Damit nicht genug: Auch für eine prinzipiell bessere Bildungspolitik und mehr Mitspracherecht an den Schulen wurde gestreikt.

Aus Unterlagen des Isolde-Kurz-Gymnasiums (Reutlingen) geht hervor, dass die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 6 bis 9 zu 90 % für den Streik gestimmt hatten; 391 von 517 SchülerInnen der Jahrgangsstufen 4 bis 9 beteiligten sich schließlich an der Arbeitsniederlegung. So berichtete die „Südwestumschau“ am Donnerstag, den 16. April 1970: „In Reutlingen beteiligten sich fast 3.000 streikende Schüler an einem Demonstrationszug, bei dem auf Spruchbändern die Bevölkerung aufgefordert wurde, sich mit dem dreitägigen Streik (…) zu solidarisieren.“

 

Manche Eltern und Lehrer gingen diesem Aufruf nach und schlossen sich den Streikenden an. Auch am Friedrich-List-Gymnasium in Reutlingen wurden Hefte und Tafeln nicht genutzt. Die Klassentagebüchern blieben die Tage leer, nur ein Wort ist darin zu lesen: „Streik“.

Hauptangriffsziel der Schüler war der damalige Kultusminister Wilhelm Hahn. In einer Erklärung versprach der CDU-Politiker verschmitzt: „Geben Sie mir Geld und ich baue den Numerus Clausus sofort ab.“  Zwar sagte Hahn zu, das Anliegen der Streikenden an die Landesregierung weiterzugeben, doch lehnte er den Streik als Mittel der Mitbestimmung ab. Disziplinarische Maßnahmen für die Streikenden gab es hingegen keine, befürchteten doch die Verantwortlichen, dass dies dem Streik nur zusätzlichen Aufwind geben würde. Zudem stünde dies in keinem Verhältnis zum insgesamt friedlichen Verlauf.

 

Insgesamt beförderte der Streik die Kultur der Mitbestimmung und des kritischen Engagements der SchülerInnen, auch wenn das eigentliche Ziel verfehlt wurde, nämlich die Abschaffung des NC-Erlasses. Was einst als Notmaßnahme eingeführt worden war, behielt seine Gültigkeit bis zum heutigen Tage.

(In Zusammenarbeit mit Frau Clara Ebert, für deren umfassende Recherche und Co-Autorenschaft an dieser Stelle herzlich gedankt sei).


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Frieder Kernen: Streik der jungen Schwaben. Uber 10000 Schüler gingen auf die Straße, in: DIE ZEIT 24. April 1970 [online].
  • o.A.: Nicht mehr drin, in: DER SPIEGEL 20/1970 [online].
  • Stefan Paulus: „Konservativ und fortschriftllich zugleich“. Baden-Württembergische Bildungspolitik in den 1960er- und 1970er-Jahren, in: Philipp Gassert/Reinhold Weber (Hgg.): Filbinger, Wyhl und die RAF. Die Siebzigerjahre in Baden-Württemberg (= Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, Bd. 42), Stuttgart 2015, S. 157-178.

/// Auch am 18. April wird auf dieser Seite wieder gestreikt. Zu Lesen wird es dennoch etwas geben.

Verhalten selbstbestimmt – die Volksabstimmung über Badens Verfassung 1919

Ein Kommentar

13. April 1919 | Mitbestimmung ist wie ein Dauerlauf: Wer nicht mit seinen Kräften haushaltet, fällt zurück. Und wer irrigerweise glaubt, er wäre bereits über die Ziellinie getrabt, steht am Ende als trauriger Verlierer allein. In Sachen Demokratie waren die BadenerInnen mit ihrem revolutionären Engagement der Jahre 1848/49 an die Spitze vorgeprescht, um anschließend eine Art Staffellauf zu absolvieren. In einer konstitutionellen Monarchie lebend, gaben sich liberale wie sozialdemokratische Politiker, Parteien und Vereine mit fortschrittlichen Ideen für eine demokratischere Gesellschaft den Staffelstab wechselseitig in die Hand: Beispielhaft hierfür steht die Umstellung auf direkte Wahlen der Zweiten Badischen Kammer im Jahre 1905. 

Des Volkes Stimme | Verhalten selbstbestimmt – die Volksabstimmung über Badens Verfassung 1919

Für die Wiedergabe des YouTube-Videos auf den Play-Button klicken. Dadurch erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt werden. Mehr Informationen und die Datenschutzerklärung von Google finden Sie unter https://policies.google.com/privacy?hl=de.

Die Novemberrevolution des Jahres 1918 mischte die machtpolitischen Karten auch in Baden von Neuen. Revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte wie jener in Mannheim riefen parallel zur Abdankung Großherzogs Friedrich II. am 22. November 1918 die Räterepublik aus. Gemäßigtere Töne schlug die aus Mehrheits-SPDlern und Liberalen bestehende provisorische Regierung in Karlsruhe an: Eine parlamentarische Republik sollte ihrer Meinung nach entstehen. Ein kluger Schachzug war es, dass die provisorische Regierung bereits am 5. Januar 1919 die Verfassungsgebende Nationalversammlung wählen ließ und  die Arbeiter- und Soldatenräte nicht in die Verfassungsdiskussion einbezog. So kam es, dass ein Verfassungsentwurf des Karlsruher Sozialdemokraten Eduard Dietz vom Landtag am 21. März 1919 angenommen wurde und der Einfluss der Rätebewegung versandete.

Es folgte ein demokratischer Endspurt: Die Verfassung der Badischen Republik wurde als einzige ihrer Art den Wahlberechtigten zur Abstimmung am 13. April 1919 vorgelegt. Darin festgehalten waren weitreichende bürgerschaftliche Rechte und Möglichkeiten, die in dieser Form bis dato nicht gegeben waren: Beispielweise konnten das Volk direkt Gesetze vorschlagen bzw. die Änderung bestehender einfordern, wenn rund 80.000 Stimmberechtigte ihren Willen hierzu kundtaten (Volksvorschlagsrecht, §§ 21-24).

Die Volksabstimmung ging zugunsten der Verfassung aus, doch hatte lediglich ein Drittel der badischen Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Der große Akt der Volkssouveränität erschien vielen als bereits hinter der Ziellinie liegend.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Hans Fenske: 175 Jahre Badische Verfassung, hrsg. Stadt Karlsruhe/Stadtarchiv, Karlsruhe 1993 [enthält u.a. die Verfassungstexte seit 1818 im Wortlaut].
  • LEO-BW/Florian Brückner: Baden zur Beginn der Weimarer Republik.

/// Am 15. April streiken im Onlinekalender Schülerinnen und Schüler von damals.

Republik oder nicht (Teil 2) – Hecker legt los

Schreiben Sie einen Kommentar!

12. April 1848 | Vom Bodensee aus wollte Friedrich Hecker doch noch alles retten. In Konstanz sollte die große „republikanische Schilderhebung“ erfolgen, die den großen Durchbruch bringen sollte. Die Stadt galt als die Hochburg der Opposition, hier waren die „entschlossenen Kräfte“ seit Jahren in der Mehrheit.  Wo sonst würden ihm die Massen folgen – wenn nicht hier?

Wochen der Euphorie und der Ernüchterung lagen hinter Hecker, als er am See eintraf. Eine Welle der Begeisterung hatte ihn nach der Offenburger Volksversammlung vom 19. März durch das Land getragen. Der Erfolg der Revolution lag nahe. Das neue Bürgerwehrgesetz stammte aus seiner Feder, die Zweite Kammer in Karlsruhe folgte ihm aufs Wort.  Voller Zuversicht fuhr er nach Frankfurt, wo Abgeordnete aus allen deutschen Staaten zu einem nationalen Vorparlament zusammentrafen. Dort wollte er die Weichen stellen für eine schnelle Abschaffung der erblichen Monarchie und eine tiefgreifende soziale Reform.

Aber die Mehrheit des Vorparlamentes hatte das anders gesehen. Sie bezweifelte die Kompetenz der Abgeordneten, so weitreichende Entscheidungen zu treffen. Heckers Vorstellung, die Versammlung solle sich als „Geschäftsführer der Nation“ verstehen und sich für permanent erklären, scheiterte dramatisch mit 148 zu 368 Stimmen. Bei der Wahl zum Fünfziger-Ausschuss, der nationale Wahlen vorbereiten sollte, landete Hecker auf dem 51. und Gustav Struve auf dem 62. Platz. Eines war jetzt klar: „Legal revolutionär“ ließ sich die Republik nicht verwirklichen. Nachdem sein Freund Joseph Fickler, Anführer der südbadischen Republikaner, kurz darauf auf dem Karlsruher Bahnhof verhaftet worden war, gab es kein Zögern mehr. Überstürzt reiste Hecker über Frankreich und die Schweiz nach Konstanz.

Einem badischen Revolutionär ist nichts zu schwer: Hecker in Montur (Zeitgenössische Lithografie; Bearb.: HdG BW/Hemberger).
Einem badischen Revolutionär ist nichts zu schwer: Hecker in voller Montur (Zeitgenössische Lithografie; Bearb.: HdG BW/Hemberger).

Aber auch in Konstanz lief nicht alles nach Plan. Entgegen seiner Erwartung empfingen ihn die örtlichen Republikaner nicht mit ungeteilter Begeisterung. Hecker kämpfte: Von seinem Quartier im „Badischen Hof“ verfasste er in der Nacht zum 12. April einen flammenden Appell: „Sieg oder Tod für die deutsche Republik!“ Eine „provisorische Regierung“ forderte die Behörden zum Gehorsam auf. Auf einer Volksversammlung am Nachmittag warb er zwar eindringlich für den Umsturz, doch Bürgermeister Karl Hüetlin stellte sich ihm entgegen. Und auch die Konstanzer Bürgerwehr verweigerte sich in ihrer Mehrheit einer Teilnahme: Am frühen Morgen des 13. April zeigten sich nur rund 50 Mann bereit, mit Hecker loszuziehen.

Das klägliche Ende der Unternehmung war absehbar.


/// Aber am 13. April siegt die Republik doch noch – allerdings ein paar Jahre später.

Die Männer von Brettheim – Einsichten und Fanatismus zum Kriegsende

Ein Kommentar

7. April 1945 | „Kann dein Tod hier in den letzten Kriegswochen den Ausgang dieses Krieges ändern?“ Diese Frage richtete die vorrückende US-Armee in den ersten Monaten des Jahres 1945 in Flugblättern an die deutsche Bevölkerung. Objektiv war der Krieg für das NS-Regime schon lange verloren, doch der Fanatismus seiner treusten AnhängerInnen trieb noch zahlreiche Menschen in den Tod, auch im Südwesten. Beispielhaft hierfür steht die Episode um die Männer von Brettheim.

Zu Kadavergehorsam erzogen, bildeten Hitlerjungen einen Teil des „Volkssturms“, dessen Ziel es war, die vorrückenden Alliierten unter anderem mit Panzerfäusten abzuwehren – ein regelrechtes Selbstmordkommando. Zudem brachte es all jene in Gefahr, die die Aussichtlosigkeit ihrer Lage erkannt hatten und mit wehenden weißen Fahnen kapitulieren wollten, um ihre Häuser und Habseligkeiten vor der Zerstörung zu retten.

Flugblatt der Waffen-SS nach der Hinrichtung von Brettheim
Flugblatt der Waffen-SS nach den Hinrichtungen von Brettheim
(Bildnachweis: Staatsarchiv Nürnberg).

Am 7. April stehen amerikanische Panzer sechs Kilometer von Brettheim entfernt, als am frühen Morgen vier Hitlerjungen mit Panzerfäusten ihnen entgegenschreiten wollen. In der Molkerei des Ortes regt sich Empörung über die „Rotzbuben“: Der Gemeindediener Friedrich Uhl und der Bauer Friedrich Hanselmann entreißen den Vieren ihre Waffen und der Molkereilehrling Hans Schwarzenberger entsorgt die Gerätschaften im nahegelegenen Weiher – gemäß der NS-Terminologie ein Akt der „Wehrkraftzersetzung“ und mit dem Tode zu bestrafen. Max Simon, Generalleutnant der Waffen-SS, schäumt vor Wut, als er von der Aktion in Kenntnis gesetzt wird und entsendet den SS-Sturmbannführer Friedrich Gottschalk zum Verhör nach Brettheim. Hanselmann räumt seine Beteiligung ein, Uhl ist flüchtig.

Als Bürgermeister Leonhard Gackstatter und NSDAP-Ortsgruppenleiter Leonhard Wolfmeyer die Unterschrift unter das eben gefasste Todesurteil verweigern, werden sie ebenfalls verhaftet und standrechtlich zum Tode verurteilt. Am Abend des 10. April werden sie an der Seite Hanselmanns an den Linden am Friedhof aufgehängt; die Stühle unter den Verurteilten treten Hitlerjungen fort. Die Leichen sollen auf Befehl Gottschalks drei Tage hängen, und in einer allgemeinen Bekanntmachung kommentiert Simon die Hinrichtung, dass „das deutsche (…) Volk entschlossen [ist], mit zunehmender Schärfe solche feigen, selbstsüchtigen und pflichtvergessenen Verräter auszumerzen (…).“

Henselmann wird am 9. April 1945 in das Gerichtsgefängnis Rothenburg eingewiesen. Bereits am nächsten Tag wird lapidar seine "Entlassung" im Gefangenenbuch vermerkt - in den Tod (Bildnachweis: Staatsarchiv Nürnberg).
Hanselmann (Nr. 128) wird am 9. April 1945 in das Gerichtsgefängnis Rothenburg eingewiesen. Bereits am nächsten Tag wird lapidar seine „Entlassung“ im Gefangenenbuch vermerkt – in den Tod (Bildnachweis: Staatsarchiv Nürnberg).

Hanselmann und Uhl hätten die Eingangsfrage ohne großes Zögern verneinen können, während SS und HJ in ihrem verbrecherischen Handeln noch immer Chancen für den Sieg sahen und Brettheim halten wollten. Wie von den US-Amerikanern angekündigt, wurde das Dorf am 17. April zerstört.

Ende der 1950er Jahre mussten sich die Täter in mehreren Prozessen verantworten, doch lediglich Gottschalk wurde verurteilt, Max Simon kam mit einem Freispruch davon.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Die Brettheimer Erinnerungsstätte: Homepage.
  • Jürgen Bertram: Das Drama von Brettheim. Eine Dorfgeschichte am Ende des Zweiten Weltkriegs, Frankfurt am Main 2005.
  • Hans Schultheiß: Die Tragödie von Brettheim, Tübingen 2002.
  • Landeszentrale für politische Bildung BW: Die Männern von Brettheim. Lesebuch zur Erinnerungsstätte, Villingen-Schwenningen 1993.

/// Am 12. April legt Hecker endlich los – oder doch nicht?

Bleibe stark! – die widerständige Beerdigung Ludwig Marums in Karlsruhe

Schreiben Sie einen Kommentar!

3. April 1934 | Möglichst ohne öffentliches Aufsehen wollte das NS-Regime den Leichnam Ludwig Marums im Karlsruher Krematorien verbrennen und unter die Erde bringen lassen. Lediglich eine randständige Notiz in der „Badischen Presse“ durften seine Ehefrau Johanna Marum und seine drei Kinder schalten – es war sogar untersagt worden, die Uhrzeit der Beerdigung anzugeben. Dass dennoch rund 3.000 KarlsruherInnen dem Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen, war eine stumme Botschaft des Protests gegen die NS-Herrschaft. In Tüten versteckt wurden Blumen zum Grab gebracht, alles unter den fotografierenden Blicken der Politischen Polizei.

Ludwig Marum blieb entschiedener Gegner der Faschisten - mit allen Konsequenzen (Bildnachweis: Stadtarchiv Karlsruhe; Bearb.: HdG BW/Hemberger).
Ludwig Marum blieb entschiedener Gegner der Faschisten – mit allen Konsequenzen (Bildnachweis: Stadtarchiv Karlsruhe; Bearb.: HdG BW/Hemberger).

Ludwig Marum, geboren am 5. November 1882 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns, schloss sich nach seinem erfolgreichen Jurastudium im Jahre 1904 der SPD an. Sein großes Engagement innerhalb der badischen Sozialdemokratie sowie als sozial denkender Rechtsanwalt ließen ihn 1914 in den badischen Landtag aufrücken. In der Weimarer Republik vertrat Marum wie die gesamte badische Sozial-demokratie gemäßigt-sozialistische Ansichten, getreu der Losung „Sozialismus auf evolutionären Wege, nicht auf revolutionären erreichen“.

Dem Reichstag gehörte der Karlsruher seit 1928 an und übernahm sogleich das Amt des rechtspolitischen Sprechers seiner Fraktion. Sein Status als Jude und Sozialdemokrat machten Marum in doppelter Hinsicht zur Zielscheibe völkisch-nationalistischer und anderer rechtsradikaler Köpfe und Parteien, allen voran der NSDAP. Seine klare Positionierung gegen den aufkommenden deutschen Faschismus vertrat Marum noch anlässlich der letzten halb-freien Reichstagswahl vom 5. März 1933 in einer Freiburger Wahlkampfrede, in welcher er die NSDAP als „Schutztruppe des Kapitalismus“ zu entlarven versuchte.

Die neuen braunen Machthaber ließen keine Zeit verstreichen, sich an ihren Widersachern zu rächen. Am 10. März 1933 wurde Ludwig Marum verhaftet und in „Schutzhaft“ verbracht. Nach zwei Monaten wurde er in einer öffentlichen Schaufahrt in das Konzentrationslager Kislau verlegt. Seine Tochter, Elisabeth Marum-Lunau, erinnert sich:

„Ich stand zitternd am Fenster. Der Vater, ganz hinten auf dem offenen Polizeilastwagen (…) sitzend, eingerahmt von SS-Männern, schaute herauf. Ich machte eine kleine, schüchternde Bewegung mit der Hand.“

Kurz darauf wurde ein Angestellter Marums verhaftet, als er sich den aufmerksam gewordenen SS-Männern entgegenwarf, um Marum-Lunau zu schützen.

Marums Briefe auf dem KZ zeugen von seinem großen Lebenswillen und seiner Sorge um die Familie, die durch die Schikanen der Behörden bedrängt wurde. Stark zu bleiben, empfahl er deshalb, als seine Frau Überlegungen äußerte, nach Marums etwaiger Freilassung nach Palästina auswandern zu wollen:

„Du weißt, daß ich meine jüdische Abstammung immer bekenne, daß ich den Zionismus und die Idee eines jüdischen Staates aber ablehne. (…) Irgendein Fleckchen Erde wird sich für uns schon finden.“ (Brief vom 04. Aug. 1933).

Jeder könnte es in der Zeitung lesen: Im Konzentrationslager war Ludwig Marum verstorben (Bildquelle: Badische Presse 1. April 1934, S. 20, Digitalisat: Badische Landesbibliothek).
Jeder konnte es in der Zeitung lesen: Im Konzentrationslager war Ludwig Marum verstorben (Bildquelle: Badische Presse, 1. April 1934, S. 20, Digitalisat: Badische Landesbibliothek).

In den wenigen Zeitungsmeldungen über Marums Tod in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1934 wurde von einem Selbstmord des Sozialdemokraten gesprochen und dies mit einem „Anfall von Schwermut“ erklärt; erst nach 1945 wurden die damals bereits kursierenden Gerüchte von einem Mord der KZ-Aufseher an Marum bestätigt.

 


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Monika Pohl:  Ludwig Marum : Gegner des Nationalsozialismus; das Verfolgungsschicksal eines Sozialdemokraten jüdischer Herkunft (= Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte, Bd. 13), Karlsruhe 2013.
  • Friedrich Becker/u.a.: Ludwig Marum. Biographische Skizzen, Karlsruhe 1996 [enthält den Augenzeugenbericht Elisabeth Marum-Lunaus sowie die Briefe Ludwig Marums aus dem KZ Kislau].
  • Harald Denecken/u.a. (Hgg.): „…ihr dürft ihn nie vergessen!“ Der Ludwig-Marum-Preis 1988-1999, Karlsruhe 2000.
  • LEO BW: Biografie und Material zu Ludwig Marum.

/// Am 7. April decken wir das nächste Kalenderblatt auf. Vernunft besiegt den Wahnsinn.

Psst, geheim – das württembergische Wahlgesetz wird reformiert

Ein Kommentar

26. März 1868 | „Nach §. 143 wird folgender Paragraph eingeschaltet: „Die Wahlen erfolgen durch geheime Stimmgebung.“ So spröde sich ein zentraler Satz der württembergischen Wahlrechtsreform von 1868 liest, so bewegt war die Zeit, in welcher er formuliert worden war. Vier Jahre zuvor war Württembergs langjähriger Potentat, Wilhelm I. verstorben, der zwar weitgehend verfassungstreu regiert hatte, jedoch im Grunde seines Wesens ein autoritär Handelnder gewesen war. Den Staffelstab an der Spitze des Ländles übernahm sein Sohn Karl, dessen weicherer Charakter durch kommende machtpolitische Krisen und Entscheidungen aufgerieben wurde. In der großen militärischen Entscheidungsschlacht von Königsgrätz zwischen dem aufstrebenden Preußen und Österreich im Jahre 1866 hatte sich Württemberg auf die Seite des südlichen Nachbarn geschlagen. Ein strategischer Fehler, der letztendlich die Souveränität Württembergs vollends abschmelzen ließ. König und Regierung sahen sich gezwungen, dem von Preußen dominierten Norddeutschen Bund und dem zunächst geheimen „Schutz und Trutzbündnis“ beizutreten.

Ein Zentrum würrtembergischer Politik des 19. Jahrhunderts: Das Stuttgarter Ständehaus (Bildnachweis: Marbacher Literaturarchiv/Dt. Schillergesellschaft)
Ein Zentrum württembergischer Politik des 19. Jahrhunderts: Das Stuttgarter Ständehaus (Bildnachweis: Marbacher Literaturarchiv/Dt. Schillergesellschaft).

Auch innenpolitisch war einiges in Bewegung geraten: Kurz nach Königsgrätz war die Deutsche Partei gegründet worden, welche die eingeleitete Entwicklung begrüßte. Als auf Bismarcks Betreiben hin die süddeutschen Länder in der Zollverein integriert wurden, waren besonders die dadurch bevorteilten schwäbischen Unternehmer vom indirekten Abgesang württembergischer Eigenständigkeit angetan – Stichwort: freier Warenverkehr. Zugleich nutzte die wachsende Arbeiterbewegung die deutsche Einigung, um Kräfte zu bündeln und mit der sozialdemokratischen Partei den Kampf für den Sozialismus und um die Parlamente aufzunehmen.

Am 26. März 1868 wurde das Wahlgesetz in Württemberg mit den übrigen Staaten des Norddeutschen Bundes – exklusive Preußen – in Einklang gebracht. Das bedeutete fortan, dass auch im Reiche König Karls die Zweite Kammer direkt, geheim und gleich gewählt wurde. Der alte einschränkende Passus, dass nur Steuerzahler das Wahlrecht ausüben dürfen, entfiel somit; Frauen blieb jedoch das Recht auf demokratische Mitbestimmung bis nach der Revolution von 1918/19 verwehrt.

Die Reform brachte dem Wahlvolk ein kleines Plus an Mitbestimmung, ließ in weiten Teilen allerdings Wünsche offen. Beispielhaft dafür: „Art. 25 Die Wähler erhalten weder für Zeitversäumnis, noch für Zehrungs- und Reiseaufwand eine Entschädigung.“

Eigentlich schade, oder?


Zum Weiterlesen und -forschen:

/// Eine Beerdigung wird zum stillen Protest: Mehr hierzu am 3. April.

Neue Formen für die Hangweide – ein Beteiligungsprozess in Kernen

Ein Kommentar

21. März 2018 | Irgendwie muss heute (fast) alles partizipativ sein. Ob Bauvorhaben, Ausstellungen oder Kindergarten – ohne Partizipation ist vieles kaum noch denkbar. Aber wie wird das überhaupt gemacht?

Ein Blick auf ein knapp acht Hektar großes Gelände im Remstal mit dem schönen Namen „Hangweide“ könnte weiterhelfen. Die Diakonie Stetten betreute dort in mehreren Gebäuden Wohnungen für Menschen mit Behinderungen. Nun sucht sie neue inklusive Wohnformen. Dafür hat sie bereits einige Häuser aufgegeben, die sie an die Gemeinde Kernen verkaufen will. Das Ziel ist klar: Kernen benötigt dringend bezahlbaren Wohnraum. Aber wie kann heute ein neues Wohnquartier entstehen?

Des Volkes Stimme | Neue Formen für die Hangweide - ein Beteiligungsprozess in Stetten

Für die Wiedergabe des YouTube-Videos auf den Play-Button klicken. Dadurch erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt werden. Mehr Informationen und die Datenschutzerklärung von Google finden Sie unter https://policies.google.com/privacy?hl=de.

Die Bürgerinnen und Bürger von Kernen waren entschlossen, dabei nicht einfach nur zuzusehen – und der Gemeinderat wollte dies auch ernst nehmen. Er beschloss Anfang 2018 einen umfassenden Bürgerbeteiligungsprozess und beauftragte Dr. Konrad Hummel und dessen Tochter Lena, diesen zu begleiten und zu moderieren. In mehreren Schritten vollzog sich seither die Beteiligung. Auf eine Auftaktveranstaltung folgte am 21. März 2018 der erste Workshop. An diesem konnten zum einen Interessierte teilnehmen, zum anderen wurden nach dem Zufallsprinzip Bürgerinnen und Bürger angeschrieben. Insgesamt meldeten sich 55 Personen an, 35 bis 40 von ihnen kamen regelmäßig zu den verschiedenen Workshops. In mehreren Gesprächsrunden erarbeiteten die Mitwirkenden ihre Vorstellungen für die neue Hangweide. Die unterschiedlichsten Wünsche und Vorstellungen prallten dabei aufeinander. Den Moderatoren fiel dabei die Schlüsselstellung zu. Sie mussten einen Weg finden, bei dem sich niemand übergangen oder ausgeschaltet fühlt. In Kernen gelang dies: Am 19. Juni übergaben die Moderatoren die Bürgerempfehlungen an die Verwaltung und den Gemeinderat.

Aber was davon letztlich Realität wird, entscheidet immer noch der Gemeinderat.


Zum Weiterlesen und -forschen:

/// Psst, streng geheim! Doch Sie dürfen es exklusiv lesen: Unser nächster Eintrag erscheint am 26. März.

Republik oder nicht? – die erste Volksversammlung in Offenburg

3 Kommentare

19. März 1848 | An diesem Tag trat die Revolution in ihrer ganzen Pracht auf die Straße.  Ein paar Monate zuvor, am 12. September 1847, hatten sich die „entschiedenen Freunde der Verfassung“ im Offenburger Gasthaus „Salmen“ hinter Weinflaschen verstecken müssen. Und noch am 27. Februar 1848 hatten die Mannheimer ihre Forderungen nur in der Aula erheben können. Aber nun gab es kein Halten mehr. Ganz Offenburg zeigte sich am 19. März in Schwarz-Rot-Gold. Die Bauern aus der Ortenau kamen mit ihren schönsten Pferden, auf ihren Sonntagsanzügen prangten die schwarz-rot-goldenen Schärpen. Mit Jubel begrüßten die Menschen die eintreffenden Fuhrwerke. Die überfüllten Züge brachten begeisterte Menschen aus dem ganzen Großherzogtum in die badische Hauptstadt der Revolution. Zum Beginn der großen Versammlung drängten sich rund 20.000 Menschen auf dem Platz vor dem geschmückten Rathaus. Es sollte ein Volksfest für die Freiheit werden.

Die Menschen warteten vor allem auf einen Mann. Geschmückt mit einer roten Schärpe hatte Friedrich Hecker von einem Balkon aus die Menschen begrüßt. Seit seinen brillanten Auftritten im Landtag und im „Salmen“ galt er als der charismatische Anführer der entschiedenen Opposition. Jetzt, an diesem 19. März 1848, kam es auf ihn an. Alle wollten wissen, wie es nach den ersten Tagen der Revolution weitergehen sollte. Würde Hecker zum Sturz der Regierung aufrufen? Würde Hecker die deutsche Republik verkünden?

Des Volkes Stimme | Die große Volksversammlung in Offenburg

Für die Wiedergabe des YouTube-Videos auf den Play-Button klicken. Dadurch erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt werden. Mehr Informationen und die Datenschutzerklärung von Google finden Sie unter https://policies.google.com/privacy?hl=de.

Die führenden Männer der Opposition zögerten bei der Frage nach der Republik. Gab es dafür wirklich genügend Unterstützung in der Bevölkerung? Reichten die Vorbereitungen aus? Sollte nicht ein deutsches Parlament die Entscheidung treffen? Hecker selbst war unentschlossen. In einer Beratung im Offenburger Rathaus vor der Volksversammlung wurden zunächst nur weitreichende demokratische Forderungen formuliert und der Aufbau einer landesweiten Organisation von demokratischen Vereinen beschlossen. Dann kam der große Augenblick. Hecker trat auf den Balkon des Rathauses. Wie immer hielt er eine feurige Rede. Der Jubel war gewaltig. Aber die Ausrufung der Republik fehlte. Im Gegenteil, Hecker soll Joseph Fickler während dessen Rede mit der Waffe in der Hand davon abgehalten haben, das Wort Republik in den Mund zu nehmen.

Kurze Zeit nach Ende der Volksversammlung trafen die Nachrichten von der erfolgreichen Revolution in Wien und Berlin in Baden ein. Jetzt war klar: In Offenburg war eine Chance verpasst worden.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Franz X. Vollmer: Offenburg 1848/49: Ereignisse und Lebensbilder aus einem Zentrum der badischen Revolution, Karlsruhe 1997.
  • Kurt Hochstuhl: Friedrich Hecker. Revolutionär und Demokrat, Stuttgart 2011.
  • LEO-BW: Sammlung von Schriften, zeitgenössischen Drucken und Dokumenten zu Friedrich Hecker.
  • Ludwig Vögely: Aus Offenburgs großer Zeit. Die Offenburger Versammlungen 1847 – 1849, in: Badische Heimat Jg. 60 (1980), S. 379-397.
  • Landeszentrale für politische Bildung BW: Erinnerungsorte Offenburg und Rastatt 1847-49.

    /// Mit der Republik dauert es noch ein bisschen. Am 21. März wird erst einmal über die Hangweide im Remstal gesprochen.

Exil im Südwesten – die Reichsregierung flieht vor dem Kapp-Putsch

Ein Kommentar

16. März 1920 | Alle sollten es sehen: „Wir stehen auf dem Boden der von uns beschworenen Reichsverfassung.“ So prangte es auf zahlreichen Plakaten, die ab dem 13. März 1920 in Württemberg aufgehängt wurden. Unterzeichnet hatten der württembergische Staatspräsident Wilhelm Blos und der für Württemberg zuständige Reichswehrgeneral Walter von Bergmann.  Ein völkisch-reaktionärer Putschversuch gegen die Demokratie nötigte zu dieser grundsätzlichen Aussage: In Berlin hatten am 13. März Freikorps, Soldaten und rechtsradikale Konservative entscheidende Teile der Reichshauptstadt besetzt. Die Aufrührer unter Führung des ostpreußischen Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp und des Oberbefehlshabers in den Marken (Berlin-Brandenburg) Walther von Lüttwitz erklärten die Deutsche Nationalversammlung für aufgelöst und die gewählte Regierung für absetzt. Reichspräsident Friedrich Ebert, Reichskanzler Gustav Bauer und der Großteil seiner Minister flohen daraufhin über Dresden nach Stuttgart. Reichsinnenminister Erich Koch-Weser war ebenfalls im Zug und notierte in seinen Reiseaufzeichnungen über die Hoffnungen zahlreicher rechter Republikfeinde:

„Das südlichste Kap Afrikas nannten die Schiffer, solange sie es nicht umsegeln konnten, das Kap der Stürme und als es gelungen war, das Kap der guten Hoffnung – Bei uns kommt hinter einem Kapp der guten Hoffnung, ein Kapp der Stürme“

Deutscher Reichstag im Exil: Tagung im Stuttgarter Kunstbau während des Kapp-Lüttwitz-Putsches (Bildnachweis: #####).
Deutscher Reichstag im Exil: Tagung im Stuttgarter Kunstbau während des Kapp-Lüttwitz-Putsches (Bildnachweis: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, HStA Q 1-2 Bü 43 Bild 94).

Der deutsche Südwesten war nicht windstill, aber deutlich weniger sturmumtost als andere Regionen. Hier vertraute die gewählte Regierung auf den Rückhalt bei Politikern, Bevölkerung und Sicherheitskräften und trat am 15. März zu einer Kabinettssitzung zusammen, um das weitere Vorgehen zu beraten. In den badischen und württembergischen Industriezentren bildeten sich Aktionsausschüsse sozialdemokratischer, kommunistischer und parteiloser ArbeiterInnen, die den Generalstreik regelten. Revolutionäre Betriebsräte und die Gewerkschaften waren ebenso widerständig. Zudem hatten ArbeiterInnen das Daimler Benz-Werk in Mannheim besetzt, um zu verhindern, dass produzierte Fahrzeuge den Putschisten in die Hände fielen.

Dass die Landesregierung und der oberste Soldat in Württemberg die Reichsregierung unterstützten würden, erfuhren alle Württembergerinnen und Württemberger durch Plakate und Zeitungssondermeldungen. Lange mussten Ebert und das Reichskabinett nicht in Stuttgart Zuflucht suchen. Der umfassende Widerstand ließ den Kapp-Lüttwitz-Putsch nach vier Tagen zusammenbrechen. Reichspräsident Ebert und Teile der Regierung blieben noch bis zum 20. März 1920 in Stuttgart. Dann kehrten sie nach Berlin zurück und zerstreuten damit aufkommende Gerüchte, dass das sichere Stuttgart nun dauerhaft Hauptstadt der Deutschen Reiches werden könnte.

(Gemeinsam verfasst mit Dr. Christopher Dowe).


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Hauptstaatsarchiv Stuttgart: Q 1/2 Bü 43 Nachlass Dr. Conrad Haussmann [enthält zahlreiche Unterlagen und Materialien zum Kapp-Putsch].
  • Wilhelm Blos: Der Kapp-Putsch, in: Paul Löbe (Hg.): Friedrich Ebert und seine Zeit. Ein Gedenkwerk über den ersten Präsidenten der deutschen Republik. Volksausgabe, Berlin 1926, S. 279-302 [Schilderung der Exilzeit des Parlaments in Stuttgart].
  • Unsere Sonderausstellung „Vertrauensfragen“ gewährt noch bis August 2019 erkenntnisreiche Einblicke in die Frühzeit der Weimarer Republik: Homepage der Ausstellung.

/// Am 19. März stellt sich die Frage: Republik oder nicht?

Neuer Dünger für die Unis – Margarete von Wrangell wird Professorin

Schreiben Sie einen Kommentar!

12. März 1923 | Es war ein langer Weg. Moskau, Reval, Tübingen und Paris waren nur einige der Stationen, die Margarete von Wrangell schließlich nach Hohenheim führten. In Moskau war Wrangell am 7. Januar 1877 geboren worden, in Reval (heute die estnische Hauptstadt Tallinn), wo ihre Familie herstammte, wuchs sie auf, in Tübingen promovierte sie 1909 in Chemie und in Paris forschte sie 1912 zusammen mit Marie Curie. An der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim wurde sie 1920 mit  „Phosphorsäure und Bodenreaktion“ habilitiert. Ihre wissenschaftliche Abhandlung war die erste in Hohenheim angenommene Habilitation. Und in Hohenheim trat am 12. März 1923 auch ihre Ernennung zum „ordentlichen Professor“ in Kraft. Damit war sie die erste Professorin Deutschlands!

Der Gesellschaft blühte es: Der Platz einer Frau ist auch die Universität. Von Wrangell bewies dies mit Erfolg (Bearb.: HdG BW/Hemberger).
Der Gesellschaft blühte es: Der Platz einer Frau ist auch die Universität. Von Wrangell bewies dies mit Erfolg (Bearb.: HdG BW/Hemberger).

Im Zentrum ihrer Forschungen stand die für die deutsche Landwirtschaft zentrale Frage der Phosphordüngung. Phosphat musste im Ausland teuer eingekauft werden. Deshalb entwickelte Margarete von Wrangell eine Düngemethode, die die im Boden enthaltene Phosphorsäure aktivierte. Die im Ernennungsschreiben vom 19. Februar 1923 ausgesprochene Bedingung für die ordentliche Professur, dass die „vom Reich erforderlichen Mittel für den Ausbau des Pflanzenernährungs-Instituts“ gewährt würden, konnte dank einer Initiative der Düngemittelindustrie und des Reichsernährungsministers erfüllt werden. Die Errichtung des Instituts war ausdrücklich an die Person Margarete von Wrangells und ihre Forschungen geknüpft. Für sie selbst bedeuteten der Aufbau und die Leitung des Instituts die Krönung ihres Lebenswerkes. „Mein Institut ist eine Schöpfung, die von dauerndem Wert und Nutzen bleiben wird, und macht mir trotz großer Sorge und Arbeitsüberlastung doch Freude“, schrieb die von einem chronischen Nierenleiden schwer belastete von Wrangell. Seit Oktober 1931 konnte sie ihre Professur nicht mehr ausüben, sie starb am 31. März 1932 an Nierenversagen.

Neben der Phosphorsäurefrage galten von Wrangells Forschungen auch dem allgemeinen Nährstoffzustand des natürlichen Bodens. Ihr gelang unter anderem der Nachweis, dass die Pflanze die Bodennährstoffe nicht aus dem Boden direkt, sondern aus der die Wurzeln unmittelbar umgebenden Bodenflüssigkeit entnimmt. Aktualität gewannen die Arbeiten der Wissenschaftlerin noch einmal für den ökologischen Landbau in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Ulrich Fellmeth (Hg.): Margarete von Wrangell und andere Pionierinnen. Die ersten Frauen an den Hochschulen in Baden und Württemberg (= Hohenheimer Themen, Bd. 7), St. Katharinen 1998.
  • LEO-BW: Biografie Margarete von Wrangells.

/// Am 16. März erscheint der nächste Eintrag. Mit allen Kräften wird hart Erkämpftes verteidigt.

Datenschutz © 2018 | Haus der Geschichte Baden-Württemberg