Besondere Eidgenossen – Die Freundschaft Rottweil-Brugg hält seit über einem Jahrhundert

Ein Kommentar

28. Juni 1913 | Wie viele bemerkenswerte Freundschaften hat die Weltgeschichte hervorgebracht: Goethe und Schiller, Marianne Weber und Marie Baum, Äffle und Pferdle. Ein guter Freund, eine gute Freundin sind in Leid und Freud an deiner Seite. Wenn Freundschaften über Jahrhunderte andauern, dann sind sie etwas ganz Besonderes. Seit genau 500 Jahren (1519) besteht zwischen Rottweil und der Schweizer Eidgenossenschaft ein „Ewiger Bund“, der eine im Jahre 1463 angebahnte eidgenossenschaftliche Freundschaft auf eine neue Stufe hob. Für Süddeutschland ein einmaliger Sonderfall und in Rottweils Geschichte ein Glanzlicht: die einstige Zugehörigkeit zur Schweizer Eidgenossenschaft.

Des Volkes Stimme | Eidgenossen - Die älteste deutsche Städtepartnerschaft Brugg - Rottweil

Für die Wiedergabe des YouTube-Videos auf den Play-Button klicken. Dadurch erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt werden. Mehr Informationen und die Datenschutzerklärung von Google finden Sie unter https://policies.google.com/privacy?hl=de.

Der Besuch des Brugger Männerchors „Frohsinn“ am 28. Juni 1913 in Rottweil und der anschließende gemeinsame Auftritt mit den Rottweiler Sängern des Männergesangvereins schlug ein neues Kapitel der Städtefreundschaft auf; es war zugleich der Beginn der ersten modernen Städtepartnerschaft überhaupt. Die Freundschaft zwischen Brugg und Rottweil galt als Muster und Vorbild aller späteren Städtepartnerschaften im deutschsprachigen Raum. Die Schweizer hatten sich umfassend auf ihren Auftritt bei den „Neckarschweizern“ vorbereitet, was eine eigens angefertigte 15-seitige Broschüre ihres Sangesbruders Ernst Laur über die Geschichte der grenzübergreifenden Verbindung bezeugt. 1914 brachen 90 Rottweiler Sänger zum Gegenbesuch auf, der von Schweizer Seite ebenso begeistert aufgenommen wurde. Mit Geld- und Sachspenden sowie Schulspeisungen – „Brugger Volksküche“ genannt – , halfen die Schweizer nach den Weltkriegen ihren notleidenden deutschen Freunden. Als weitere Zeichen der Freundschaft gab es Straßenbenennungen in beiden Städten, 2003 wurde auch eine Freundschaftslinde in Brugg gepflanzt.

Schweizer aus Brugg zu Besuch bei den „Neckarschweizern“ in Rottweil. Gruppenbild vom 28. Juni 1913 (Bildnachweis: Stadtarchiv Rottweil).

Trotz regelmäßiger Besuche und grenzübergreifender Vereinskontakte fehlte etwas, wie sich Edgar Enderle aus Rottweil erinnerte. Kurzerhand gründete er im Jahre 2000 gemeinsam mit achtzehn Schweizbegeisterten den Freundeskreis „Rottweiler Freunde von Brugg“, der allen Bürgerinnen und Bürgern offensteht. Die Völkerverständigung möchten die Mitglieder durch direkte Beziehungen zwischen den Menschen vorantreiben, erklärt Enderle als Präsident des Freundeskreises Brugg. Regelmäßige Feste wie die Rottweiler Fasnet, das Rottweiler Stadtfest sowie das Jugendfest in Brugg geben einen geselligen Anlass für gegenseitige Besuche, die gemeinsam mit dem Schweizer Verein „Brugger Freunde Rottweil“ abgestimmt werden. Die zwischenmenschlichen Freundschaften seien Motoren der Städtepartnerschaft, betont Enderle, der selber eine Freundschaft zur Brugger Familie Lardon pflege.

Dass Freunde sich verändern können, die Verbindung jedoch bestehen bleibt, zeigt sich am Männergesangverein „Frohsinn“. Seit 2002 tritt er als gemischter „Chor 02 Region Brugg“ auf und hat zuletzt im Jahre 2013 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der  Städtefreundschaft einen gemeinsamen Auftritt mit den Rottweiler Sangesfreunden der heutigen Chorgemeinschaft absolviert. Überhaupt sei die Freundschaft für die Zukunft gut gerüstet, merkt Edgar Enderle beruhigt an. Die junge Generation komme über die örtlichen Musikschulen, über die Stadtkapellen und die Feuerwehren regelmäßig in Kontakt und auch die Stadtverwaltungen möchten das Band der Eidgenossenschaft weiter flattern lassen. Brugg und Rottweil ist „eine unserer schönsten Freundschaften“, eine „tiefe und lebendige“ Partnerschaft, die sich auch in schwerer Zeit bewährt hat, so der Stadthistoriker Winfried Hecht.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Winfried Hecht: Eine Freundschaft durch die Jahrhunderte. Die Schweizer Eidgenossenschaft und Rottweil, Rottweil 2013.
  • Rottweiler Freunde von Brugg: Homepage.
  • Brugger Freunde von Rottweil: Homepage.

Sie sollen stempeln gehen! – Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926

Schreiben Sie einen Kommentar!

20. Juni 1926 | Mein, dein, unser? Die aktuelle deutsche Enteignungsdebatte hat berühmte Vorgängerinnen in der jüngeren Geschichte, die weit schärfer ausgefochten wurden. Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung von 1926 war zugleich ein demokratiegeschichtlicher Meilenstein der Weimarer Republik. In der Reichsverfassung von 1919 war ausdrücklich die Möglichkeit der Volksgesetzgebung festgehalten: Bürgerinnen und Bürger konnten mittels Volksbegehren und Volksentscheid politisch bindende Entscheidungen treffen. Neben einem Gesetz, das bis dato reichsweit kein einziges Mal angewendet worden war, saß das Volk (genauer der Staat) auf weiteren Revolutionspfründen, nämlich dem Vermögen deutscher Fürstenhäuser, welches nach deren Entmachtung eingezogen worden war. In Verhandlungen und gerichtlichen Vergleichen versuchten die alten Machthaber ihr Vermögen wieder zu erlangen. Als Reaktion entfaltete die KPD ihre Kampagne für einen Volksentscheid zu deren entschädigungsloser Enteignung, Motto: „Keinen Pfennig den Fürsten! Sie sollen stempeln gehen!“

Im Blätterwald rauschte es heftig Für und Wider den Volksentscheid. Schlagzeilen vom 18./19. Juni 1926 aus dem Oberländer (bürgerlich/katholisch, für Saulgau und Hohenzollern), Der Zoller (bürgerlich/ katholisch, für die Hohenzollerschen Lande), Schwäbischer Merkur (deutschnational, für Schwaben), Volksfreund (sozialdemokratisch, für Mittelbaden), Arbeiter-Zeitung (kommunistisch, für Baden – vom 3. März 1926) (Collage: HdGBW/Hemberger).

Zunächst zögerte die sozialdemokratische Parteiführung, schloss sich jedoch schlussendlich der Bewegung an. Auch Gewerkschaften und Teile des linksliberalen Bürgertums sowie der katholischen Zentrumspartei verhalfen dem Volksbegehren zum beachtlichen Erfolg: 12,5 Millionen der 39,4 Millionen Wahlberechtigten trugen sich in die Wahllisten ein und machten somit den Volksentscheid möglich. Nicht zuletzt die Hoffnung, mit dem Vermögen dringende soziale Maßnahmen finanzieren zu können, einte die Lager.

Auch in den eher konservativ geprägten Hohenzollerischen Landen entbrannte nun der Kampf um des Volkes Stimme. In einer Leserzuschrift an den „Oberländer“ („Tagesblatt für Saulgau und Hohenzollern“) warnte ein Landwirt vor der „Untergrabung des Rechtsempfindens“ und der „Abschaffung jeden Privateigentums“: „Was heute dem einen geschieht, wird nach und nach den anderen treffen (…)“. Andere Stimmen in ähnlichen Tageszeitungen sahen „gottlosen Bolschewismus“ dämmern und druckten breit den Aufruf der Kirchen, dem Volksentscheid fernzubleiben und somit die Fürstenenteignung abzuwenden. Die badische SPD-Zeitung „Volksfreund“ berichtete stattdessen von einer „originellen Demonstration“ der SPD- und KPD-Abgeordneten im (Schwäbisch) Haller Stadtparlament. Als Antwort auf die abgelehnte Verhandlung über einen Wahlaufruf zum Volksentscheid ließen Aktivisten Inflationsgeld von der Empore regnen, das schließlich fusshoch auf Boden und Tischen lag und die Sitzung beendet werden musste.

Der Volksentscheid scheiterte, da „nur“ 14,5 Millionen Menschen mit „Ja“ gestimmt hatten (rund 36 % der Wahlberechtigten; zum Vergleich: „Ja“ in Württemberg: 34 % und in Baden: 38 % ) – mindestens 50 % hätten ihre Zustimmung kundtun müssen. Auch wenn Ex-Kaiser Wilhelm II. von „14 Millionen Schweinehunden in Deutschland“ sprach, war doch der Fürstenentscheid ein respektabler Versuch, die Diskussion um soziale Gerechtigkeit und Vermögen auf ein neues demokratisches Niveau zu heben.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Otmar Jung: Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzungen zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, 2 Bde.,  Hamburg 1996.
  • Thomas Schnabel: Niederlage der Monarchisten und Niederlage der Demokraten : Volksbegehren und Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926 in Württemberg, in: Reinhold Weber (Hg.): Der deutsche Südwesten : regionale Traditionen und historische Identitäten. Hans-Georg Wehling zum Siebzigsten, Stuttgart 2008. S. 83-104.
  • Ulrich Schüren: Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926. Die Vermögensauseinandersetzung mit den depossedierten Landesherren als Problem der deutschen Innenpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Preußen (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 64), Düsseldorf 1978.

Schwäbische Bastille – Die Festung Hohenasperg soll Gedenkstätte werden

Ein Kommentar

17. Juni 1980 | Beinahe majestätisch thront die Festung Hohenasperg auf einer Anhöhe nahe Ludwigsburg. Wen schützten deren trutzige Mauern? Die, die darin leben (mussten) oder all jene, die draußen wohnten? Über Jahrhunderte hinweg war die Festung Ausdruck staatlicher Macht und ein Symbol dafür, wie mit echten oder vermeintlichen Verbrechern umgegangen wurde. Auffällig viele politische Gefangene saßen hier ein. Ihre Biografien verraten einiges über die jeweilige Gesellschaft, in der sie lebten. Nach harter Kritik am Beamtenstaat kam Friedrich List im Jahre 1824 für ein Jahr hinter Schloss und Riegel und die Verhaftungswelle nach der Revolution von 1848/49 machte den Hohenasperg zum „Demokratenbuckel“, wurden hier doch Revolutionäre vom Schlage eines Gottlieb Rau interniert. Auch Revolutionäre von 1918/19 wie Fritz Rück und Mitglieder der KPD wurden während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus hier eingesperrt. Die NS-Behörden richteten zudem zeitweise innerhalb der Mauern ein Sammellager für Sinti und Roma, für „Asoziale“ und an Tuberkulose erkrankte Häftlinge ein.

Das idyllische Bild trügt. Auch im 19. Jahrhundert war die Festung Hohenasperg ein Ort des Strafens. Die kolorierte Zeichnung des Innenhofs fertigte Johann Baptist Bauernfeind um 1849 an (Bildnachweis: Gabelin, Backnang).

In der Nachkriegszeit wuchs die Bedeutung des Hohenasperg als Gefängniskrankenhaus: Die Mauern sahen Gefangene wie den „Remstalrebell“ Helmut Palmer oder das RAF-Mitglied Günter Sonnenberg (ab 1977). Dessen Zwangsernährung wurde öffentlich heiß diskutiert und von der RAF als Beweis für ein System der „Vernichtungshaft“ ausgeschlachtet. Scharfe Kritik an den allgemeinen Haftbedingungen brachte auch der Psychiater Achim Mechler vor, der im Jahr 1979 seinen Dienst als Chef des Vollzugskrankenhauses quittiert hatte. Was hinter Gittern geschah, war immer weniger Menschen gleichgültig.

 

Mit einer Sternwanderung und einer Kundgebung am 17. Juli 1980 forderten rund 1.000 Teilnehmende in Ludwigsburg  ein Mahnmal für die freiheitlich-demokratische Bewegung in Württemberg. Zwei Jahre zuvor hatte der Historiker und Aktivist Horst Brandstätter mit seinem Buch „Asperg. Ein deutsches Gefängnis“ die Idee einer Gedenkstätte aufgebracht. Auf der Kundgebung von 1980 schlug die Schriftstellerin Luise Rinser vor, statt dem „Symbol für Law und Order“ ein Zeichen des Verbindenden zu setzen, beispielsweise mit einem Haus für schöpferische Arbeit für Jugendliche.

Mit der Eröffnung der Ausstellung „Hohenasperg – Ein deutsches Gefängnis“ im Jahr 2010 fand der Einsatz Brandstätters und des Aktionsbündnisses „Gedenkstätte Hohenasperg“ einen erfolgreichen Abschluss.  Was ist Recht, was Unrecht? Was bedeutet Freiheit, was Gefangenschaft für den Menschen? Ausgewählte Biografien  sollen hierzu Einblicke bewähren und zum Nachdenken anregen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Haus der Geschichte Baden-Württemberg: Onlineauftritt Zweigmuseum Hohenasperg.
  • HdG BW (Hrsg.): Hohenasperg – Ein deutsches Gefängnis. Katalog zum Museum im Arsenalbau der Festung Hohenasperg, Stuttgart 2011.
  • HdG BW (Hrsg.): Asperg – Ein deutsches Gefängnis. Der schwäbische Demokratenbuckel und seine Insassen: Pfarrer, Schreiber, Kaufleute, Lehrer, gemeines Volk und andere republikanische Brut. Mit Abschweifungen über Denunzianten und Sympathisanten in alter und neuer Zeit. Zusammengestellt von Horst Brandstätter, mit einer Einführung von Jürgen Walter und einem Beitrag von Franziska Dunkel, Ubstadt-Weiher 2015.
  • Fridtjof Theegarten: Der Tränenberg soll Kulturstätte werden, in: Stuttgarter Nachrichten 18.07.1980, S. 9.

Auf Schusters Rappen – Der Schwarzwaldverein erwandert den Südwesten

2 Kommentare

8. Juni 1864 | Wo es bei jedem Schritt nach Tannenharz durftet, wo die Waldspitzmaus der badischen Quellschnecke begegnet und wo Wandersleute von der Hornisgrinde oder dem Belchen ins Land schauen können, dort liegt der sagenhafte Schwarzwald. Wie kaum ein anderes Gebiet in Deutschland ruft der Schwarzwald romantische Heimatgefühle hervor, steht für unberührte Natur und frische Luft. Dieses positive Image hat er nicht erst seit Kurzem. Einheimische begannen schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts damit, das Gebiet zwischen Pforzheim in Norden und Rheinfelden im Süden touristisch zu erschließen. Am 8. Juni 1864 gründete sich in der Freiburger Gaststätte „Renz’scher Felsenkeller“ der „Badische Verein von Industriellen und Gastwirthen zum Zweck, den Schwarzwald und seine angrenzenden Gegenden besser bekannt zu machen.“ Der unerhört lange Name war schon drei Jahre später Geschichte, als man sich kurz und tannenzapfenknackig in „Schwarzwald-Verein“ umbenannte. Im Jahre 1884 folgte ein württembergisches Pendant, ehe sich beide Vereine 1934 zusammentaten.

 

Rauten zieren ihre Wege: Philipp Bussemer und Julius Kaufmann markierten für den badischen Schwarzwaldverein im Jahr 1900 mit kleinen roten Rautenschildern den Westweg, der sich 279 Kilometer von Pforzheim nach Basel schlängelt. Das Zeichen des ersten europäischen Fernwanderwegs wurde zugleich zum Wappensymbol des Vereins. Heute zieht sich ein ganzes Netz gut ausgebauter und -geschilderter Wanderwege durch den Schwarzwald.

Mit der roten Raute markiert der Schwarzwaldverein seinen Wanderweg „Westweg“ von Pforzheim nach Basel (Bildnachweis: HdGBW).

Deutschlands ältester Wanderverein baute im 19. Jahrhundert zahlreiche Aussichtstürme (beispielsweise auf der Hornisgrinde), gab ab 1893 Wanderkarten heraus und richtete Wanderheime ein. Der Naturschutz spielte eine weitere gewichtige Rolle. In den 1920er Jahren gingen die Mitglieder gegen einen Stausee im Schluchtal in Südbaden auf die Barrikaden und erwirkten die Einrichtung eines Ausgleichs-schutzgebiets in der Wutachschlucht. In der Nachkriegszeit rückten die Zersiedelung der Landschaft und das Waldsterben in den Fokus der Aktivitäten. Unter ihrem Vorsitzenden, dem umweltbewegten Konservativen Hermann Person,  mischte der Verein in der Umweltbewegung der 1980er Jahre mit.


Zum Weiterlesen und -forschen:

Keine „verkalkten Säckel“ – Ein Volksentscheid begräbt Badens Unabhängigkeitsbewegung

Ein Kommentar

7. Juni 1970 | Vierzehn Jahre lang rotierten die Stundenzeiger auf den Schwarzwalduhren in Baden voller Ungeduld, ehe die dritte Runde im Kampf Baden-Württemberg versus unabhängiges Bundesland Baden eingeläutet wurde. De facto hatte die Mehrheit im Südwesten im Zweiten Volksentscheid vom Dezember 1951 der Bildung des Bindestrich-Bundeslands grünes Licht gegeben. Eine Ausnahme bildete Südbaden, wo man landespolitisch lieber Single bleiben wollte. Gruppierungen wie der „Heimatbund Badnerland“ zweifelten an der Rechtmäßigkeit der Volksabstimmung und sollten 1956 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Karlsruhe Recht behalten. Die Abstimmung sei nicht mit den Reglungen im Grundgesetz § 29 konform abgelaufen und müsse wiederholt werden. Über das „Wann?“ machte das Gericht allerdings keine Angabe.

Des Volkes Stimme | Keine „verkalkten Säckel“ – Ein Volksentscheid löst die Badenfrage

Für die Wiedergabe des YouTube-Videos auf den Play-Button klicken. Dadurch erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt werden. Mehr Informationen und die Datenschutzerklärung von Google finden Sie unter https://policies.google.com/privacy?hl=de.

Die Jahre verstrichen und es wuchs immer mehr zusammen, was in den Augen Einiger nicht zusammengehörte. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Landesteilen schwand und Fragen der Identität spielten eine zunehmend untergeordnete Rolle für die junge Generation. Keine „verkalkten Säckel“ seien sie, sondern Menschen, die ein „demokratisches modernes Bundesland am Oberrhein“ wollten, zitierte die Wochenzeitung „Die Zeit“ den Alt-Badener Reinhold Grund am Vorabend des Volksentscheids am 7. Juni 1970.

Die Pro-Baden-Bewegung vereinte sowohl Baden-Romantiker vom alten Schlag als auch kühl Rechnende, die in der Unabhängigkeit Möglichkeiten einer der Zukunft zugewandten Regionalentwicklung sahen. Zugleich fürchtete die Landesregierung unter Ministerpräsident Hans Filbinger, dass Befürworter eines vereinten Baden-Württembergs aus falscher Sicherheit den Urnengang als überflüssig erachteten und die Pro-Badener somit wider Erwarten siegen könnten. Doch die Überraschung blieb beim Volksentscheid aus: 81,9 % der abgegebenen Stimmen waren für Baden-Württemberg; bei einer Wahlbeteiligung von 62,5 % ein stichfestes Votum. In keinem Wahlkreis schafften es die Pro-Badener auch nur annähernd, eine Mehrheit für ihr Ansinnen zu erobern (ihr bestes Ergebnis holten sie im Stadtkreis Karlsruhe mit 36 %). Als am 19. September 1971 eine von Unbeugsamen angestrebte Volksabstimmung am notwendigen Quorum der Mindestteilnehmenden scheiterte, war klar: Der Traum vom souveränen Baden war ausgeträumt.


Zum Weiterlesen und -forschen:

Straße, endlose Straße – Der Vagabundenkongress 1929 in Stuttgart

Ein Kommentar

21. Mai 1929 | Ein „umherschweifender Rebell, ein revolutionärer Wanderagitator der Brüderlichkeit in den Pennen und Asylen Europas“ sei der „Kunde“ (eine alte Selbstbezeichnung der Landfahrer und Vagabunden). So formulierte es der anarchistische, später kommunistische Aktivist Gregor Gog auf dem ersten Internationalen Vagabundenkongress in Stuttgart im Jahre 1929.  Über 500 „Kunden“ folgten seinem Ruf und fanden sich vom 21. bis 23. Mai 1929 im Freidenker-Jugendgarten an der Kunsthochschule auf dem Stuttgarter Killesberg ein. Für drei Tage war hier die Hauptstadt des „Vagabundischen“: In ihren Reden griffen politisch aktive Kunstschaffende wie Alfons Paquet, Hans Tombrock und Heinrich Lersch ebenso wie der libertäre Kommunist Rudolf Geist oder der Pfarrer Jakob Weidemann das herrschende Gesellschaftssystem an.

Georg Gog brachte eine eigene „Zeit- und Streitschrift“ für die Tippelbrüder heraus: „Der Kunde“.

Neben der Möglichkeit, einen sicheren Ort für Geselligkeit und Austausch bereitzustellen, ging es den Veranstaltern auch darum zu zeigen, wie vielfältig die im Schoße der Vagabundenbewegung erwachsene Kunst war: Mit einer eigenen Kunstausstellung und einer durch behördliche Eingriffe zensierten Rundfunksendung erreichten die Aktiven ein großes Publikum, nicht immer zur Freude der damaligen Stadtverwaltung. Diese versuchte, das Ereignis möglichst geräuschlos passieren zu lassen. Entgegen dieser Hoffnung strömten zahlreiche Pressevertreter auf den Killesberg, um sich ein möglichst exotisches und romantisierendes Bild der Versammelten zu machen. Doch Aktivisten wie Gregor Gog, der als Bewohner einer selbstgezimmerten Hütte vor den Toren Stuttgart bereits selber reichlich exotisch wirkte, wussten es besser: Obdach- und Arbeitslosigkeit waren schwere Bürden der rund 100.000 Menschen auf der Straße, von denen sich nur ein kleiner Teil bewusst und freiwillig zu diesem Lebensstil entschieden hatte.

Die linke Arbeiter-Illustrierte Zeitung (AIZ) berichtete in Ausgabe 23/1929 halb solidarisch, halb kritisch über das Stuttgarter Ereignis (Bildnachweis: HdGBW).

Bereits im Jahre 1927 nahm Gog den Kampf gegen die „Vereinsamung“ der Vagabunden auf, gründete die „Bruderschaft der Vagabunden“, veröffentlichte die „Zeit- und Streitschrift“ „Der Kunde“ und leitete einen eigenen „Verlag der Vagabunden“. In dem wurde unter anderem Otto Zieses Gedichtband „Straße – endlose Straße“ veröffentlicht. Vagabundentum, das sei ein lebenslanger Generalstreik, mit der die „kapitalistische, ,christliche‘, kerkerbauende Gesellschaft ins Wackeln, ins Wanken, zu Fall“ gebracht werde, erklärte Gog in seiner Rede auf dem Vagabundenkongress. In der Folgezeit radikalisierte er sich zunehmend, trat (erneut) der KPD bei und floh vor der Verfolgung durch das NS-Regime in die Sowjetunion, wo er nach dramatischen Jahren Ende 1945 verstarb. Die Vagabundengemeinschaft wurde ab 1933 systematisch von den braunen Machthabern in Deutschland verfolgt.

Im Jahre 1981 erregte der letztendlich gescheiterte Versuch, eine Neuauflage des Vagabundenkongresses zu veranstalten, noch einmal die Stadt Stuttgart: Alte Vorurteile und Ängste brachen sich erneut Bahn, diesmal sogar vermischt mit fremdenfeindlichen Stimmen.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Diethart Kerbs: Vagabundenkongreß Stuttgart Mai 1929 (= Edition Photothek, Bd. XVII), Berlin 1986 [darin: zahlreiche Fotografien des Kongresses].
  • Michael Kienzle/Dirk Mende:  Denkblatt: Gregor Gog. 1891 – 1945. Generalstreik das Leben lang! Stuttgart 2004 [digitale Ausgabe].
  • Patrick Spät/Beatrice Davies: Der König der Vagabunden. Gregor Gog und seine Bruderschaft, Berlin 2019 [Graphic Novel].
  • Klaus Trappmann: Landstraße, Kunden, Vagabunden. Gregor Gogs Liga der Heimatlosen, Berlin 1980.

Unter Strom – Die „Eltern für atomfreie Zukunft“ werden aktiv

Ein Kommentar

19. Mai 1987 | Dass sich Eltern um ihre Kinder Sorgen machen, ist der Normalfall. Ob nun auf dem Fahrrad im Straßenverkehr, beim Klettern auf Bäumen oder beim Sport: Eltern sehen scheinbar instinktiv die Gefahren, die ihrem Nachwuchs drohen könnten. Unsichtbar, aber nicht weniger gefährlich war die Bedrohung, die nach dem verheerenden Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl im Jahre 1986 in Mitteleuropa viele Menschen beunruhigte. Auch im kleinen Ort Schönau im Schwarzwald lebten Eltern, die die Nachrichten über radioaktiven Regen und verstrahlte Lebensmittel mitbekamen. Der Schönauer Wolf Dieter Drescher erinnert sich:

Wer suchet, der findet: Mit einer Anzeige im örtlichen Heftli (hier eine Rekonstruktion) versammelte Familie Drescher gleichgesinnte Eltern aus Schönau (Bildnachweis: EWS).

„Nachdem dann eben auch die Situation entstanden ist, ‚Lasst eure Kinder nimmer im Sandkasten spielen!‘, da war klar: irgendetwas muss man eigentlich tun. Ich hab‘ die Anzeige im lokalen Anzeigeblatt geschaltet, zusammen mit meiner Frau unterschrieben, und war ehrlich gesagt sehr gespannt, was passiert.“

Dreschers Forsthaus wurde daraufhin zum Treffpunkt jener, die wie Ursula Sladek der Meinung waren, dass die Regierung und die Stromversorger die Risiken der Kernenergie unterschätzt hätten: „Wenn sich etwas ändern soll, müssen wir die Ärmel hochkrempeln und selbst was ändern!“, schildert die Schönauerin den Energieschub, der zur Gründung des Verein „Eltern für atomfreie Zukunft“ (EfAZ) am 19. Mai 1987 führte. Zunächst wollten sie die Bundesregierung dazu bewegen, das Energiewirtschaftsgesetz zu ändern, sodass einzelne Regionen aus dem Bezug von Atomstrom hätten aussteigen können.

Jung und alt aktiv gegen Atomenergie: Die „Eltern für atomfreie Zukunft“ zogen auch künstlerisch alle Register – hier eine „Delegation“ um Michael Sladek (Mitte) im fernen Hamburg (Bildnachweis: EWS).

Doch rasch kam Vereinsmitglied Michael Sladek zur Erkenntnis, dass die Bürgerinnen und Bürger die Energiewende von unten alleine stemmen mussten. Es war die Geburtsstunde einer „Rebellion“. Die EfAZ wurde kreativ: Bereits im November lud sie zum „Ersten Schönauer Energietag“ ein, der den Anstoß zum Start einer Stromsparkampagne im Folgejahr wurde. Sie gründeten die Theatergruppe „Wattkiller“, die mit einer gehörigen Portion Humor für das Thema Stromverbrauch, Stromsparen und alternative Formen der Energieerzeugung trommelten. Doch mit Sparen allein war der Kampf nicht zu gewinnen: Die Schönauer „Stromrebellen“ wollten aktiv in die umweltfreundliche Stromgewinnung einsteigen und betraten einen steinigen Weg, der schlussendlich zu der erfolgreichen Gründung der „Elektrizitätswerke Schönau“ (EWS) und der Übernahme des lokalen Stromnetzes führte.

Die „Eltern für atomfreie Zukunft“ unterstützen seit Anfang der 1990er Projekte, mit denen krebskranken Kindern und Jugendlichen, den späten Opfern der Tschernobyl-Katastrophe, in Kiewer Kliniken geholfen wird.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Eltern für atomfreie Zukunft e.V.: Homepage.
  • Bernward Janzing: Störfall mit Charme. Die Schönauer Stromrebellen im Widerstand gegen die Atomkraft, Vöhrenbach 2008.
  • DVD: Die Schönauer Gefühl. Die Geschichte der Stromrebellen aus dem Schwarzwald. Eine Produktion des Fördervereins für umweltfreundliche Stromverteilung und Energieerzeugung Schönau im Schwarzwald e.V., Schönau 2007.

Der Streit um den Nationalpark – Die Bürgerbefragung im Nordschwarzwald

Ein Kommentar

12. Mai 2013 |  „Wilde Wälder“ heißt eine wunderbare Band aus dem Hochschwarzwald, die mit G’schrei, G’joohmer oder auch Blaare ihr Publikum erfreut. Der Name bezieht sich auf die vier Bandmitglieder, die sich selbst als „Ureinwohner“ bezeichnen. Ist ja auch klar: Die Menschen mögen wild sein, die Wälder selbst sind es schon längst nicht mehr. Sie werden gehegt und gepflegt, sie sind oft sogar von Menschenhand geplant und angelegt worden. Von Wildnis kann keine Rede sein.

Des Volkes Stimme | Der Streit um den Nationalpark - die Bürgerbefragung im Nordschwarzwald

Für die Wiedergabe des YouTube-Videos auf den Play-Button klicken. Dadurch erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt werden. Mehr Informationen und die Datenschutzerklärung von Google finden Sie unter https://policies.google.com/privacy?hl=de.

Dies zu ändern, um damit die Natur besser zu schützen und so eine größere Vielfalt von Fauna und Flora wieder zuzulassen, war das Ziel einer Initiative der 2011 gewählten grün-roten Landesregierung. Der Weg dahin sollte die Gründung eines Nationalparks sein, in dem die Natur sich weitgehend selbst überlassen bleiben sollte. Als dafür geeignetes Gebiet wurden im Nordschwarzwald zwei von den Städten Baden-Baden und Freudenstadt begrenzte Bereiche um den Ruhestein und den Hohen Ochsenkopf auserkoren, mit einer Gesamtfläche von etwas mehr als 10.000 Hektar (was ca. 0,7 % des gesamten Waldes im Land entspricht).  In einer Kernzone sollte fortan jeder menschliche Eingriff unterbleiben, während in einer Entwicklungszone erst noch die Voraussetzungen für das sich-selbst-überlassen geschaffen werden sollten – denn selbst die Rückkehr der Wildnis benötigt ein Stück weit menschliche Hilfe.

Aber in einem dicht besiedelten Land wie Baden-Württemberg liegt selbst ein Nationalpark nicht in einer von Menschen weit abgelegenen Gegend. Im Nordschwarzwald leben Menschen in vielen Gemeinden in unmittelbarer Nähe des Waldes, und nicht nur das: Sie leben auch vom Wald. Was passiert mit den Privatwäldern, wenn der Staat seinen Wald nicht mehr bewirtschaftet? Konkret: Macht der Borkenkäfer, der sich vielleicht im Nationalpark ausbreiten wird, Halt an der Grenze der privaten Wälder?  Und können wir es uns überhaupt erlauben, das wertvolle Holz einfach verrotten zu lassen? Ist es dafür nicht zu schade? Ist ein so radikaler Waldschutz nicht einfach nur ein romantisches Alibi für ein hochindustrialisiertes Land?

Die Landesregierung startete einen umfassenden Beteiligungsprozess, konnte aber einen heftigen Streit über den Nationalpark nicht verhindern. Die Ablehnung vieler Menschen in der Region trotz aller Informationen und Diskussionen zeigte sich in den Ergebnissen einer Bürgerbefragung, die am 12. Mai 2013 in sieben Gemeinden abgeschlossen wurde: Von Bad Wildbad bis Freudenstadt stimmten mehr als 70 % gegen den Nationalpark. Aber das Ergebnis war nicht bindend. Der Landtag beschloss am 28. November 2013 das Nationalparkgesetz. Seit dem 1. Januar 2014 besteht der Nationalpark Schwarzwald. Laut Umfragen soll inzwischen auch in der Region die Akzeptanz gestiegen sein.

Der Wald wird „eine Spur WILDER“.


Zum Weiterlesen und -forschen:

Schillerndes Gedenken – Wie ehrt man einen Dichterfürsten?

Ein Kommentar

9. Mai 1835 | Dass ausgerechnet diese Stadt ihm ein Denkmal errichten würde, hätte Friedrich Schiller zumindest belustigt. Als französische Truppen im Jahr 1796 in Stuttgart einmarschieren wollten, schrieb er an Johann Wolfgang von Goethe: „Ich kann das aber nicht glauben,  da (… ) es keinem Mensch, der bei Sinnen ist, einfallen kann, sich auch nur 3 Stunden darin halten zu wollen.“ Der gebürtige Marbacher sah in der Residenzstadt des 1793 gestorbenen Württembergischen Herzogs Carl Eugen ein Symbol für provinzielles Despotentum: Wie Recht er haben sollte, bewiesen die verhärmten Reaktionen der Obrigkeit auf Schillers Revoluzzer-Stück „Die Räuber“, das im Jahre 1781 uraufgeführt wurde und ihn letztendlich im darauffolgenden Jahr zur endgültigen Flucht aus Carl Eugens Schwabenreich zwang. Aus dem studierten Militärarzt der Württembergischen Armee wurde der epochenmachende Literat, der im thüringischen Weimar Seite an Seite mit Goethe lebte und wirkte – nicht ohne Heimweh, denn als Schwabe fühlte er sich stets.

In Wirklichkeit nur einmal vorhanden und nicht ganz so bunt: Das Stuttgarter Schillerdenkmal (Collage: Hemberger).
In Wirklichkeit nur einmal vorhanden und nicht ganz so bunt: Das Stuttgarter Schillerdenkmal (Collage: Hemberger).

Sein Tod am 9. Mai 1805 erschütterte das fortschrittliche Bürgertum in den deutschen Landen und entfachte umgehend die Diskussionen, wie der „Dichterfürst“ angemessen gewürdigt werden könnte. In Württemberg brachte die erste Stuttgarter Schillerfeier im Jahre 1825, ausgerichtet vom liberalen Stuttgarter Liederkranz, Bewegung in die Denkmalpläne. Deutschlandweit wurden Spenden gesammelt und der seiner Zeit begehrteste Bildhauer, Bertel Thorvaldsen, erklärte sich bereit, ohne Honorar das Standbild auszuführen. Als Standort wurde bewusst der Alte Schlossplatz (heute: Schillerplatz) gewählt, einen Steinwurf von der damaligen Residenz der Württembergischen Könige entfernt.

In der allgemeinen Schillerbegeisterung jener Jahre war die Gründung des Marbacher Schillervereins am 9. Mai 1835 ein weiterer Baustein, das Andenken und geistige Erbe Schillers systematisch zu fördern und zu sichern. Als am 8. Mai 1839 das Stuttgarter Denkmal mit einem großen Volksfest enthüllt wurde, sahen liberale Kreise darin ein Symbol des Sieges über den alten Despotismus. Verschnupft reagierten lediglich einige Marbacher, die sich laut dem Chronisten Hermann Kurz eine solche zentrale Gedenkstätte nur in Schillers Geburtsort vorstellen konnten: „Alles wollen sie  an sich ziehen! (…), und nun haben sie auch noch Den da!“ (Hermann Kurz, zitiert nach: Davidis, 150 Jahre Schiller-Denkmal, S. 11).

Doch die Marbacher zogen nach: 1859 richteten sie in Schillers Geburtshaus eine Gedenkstätte ein, 1876 folgte das obligatorische Denkmal und im Jahre 1903 schließlich das große Schiller-Museum, das heute ein Teil des Deutschen Literaturarchivs Marbach ist. Schiller für alle!


Zum Weiterlesen und -forschen:

„Denkmal in den Herzen“ – Die Erzberger-Gedenkfeier in Buttenhausen

Ein Kommentar

8. Mai 1927 | Unter „flotter Musik“ marschierten Reichsbannerleute aus Reutlingen und Ulm in das „sonst so stille Dörflein“ Buttenhausen ein, wie ein zeitgenössischer Beitrag im Münsinger „Alb-Boten“ nicht ohne Stolz verkündete. Ihr Ziel: Ein unscheinbares kleines Haus, in dessen vier Wänden eine zentrale Figur der jungen Weimarer Republik das Licht der Welt erblickt hatte. Am 20. September 1875 hineingeboren in einfache Verhältnisse, beschritt der Katholik Matthias Erzberger einen Lebensweg, der ihn politisch in die Reihen der Zentrumspartei führte,  die er ab 1903 im Reichstag als Abgeordneter vertrat. Erzberger eckte innerhalb seiner Fraktion des Öfteren an, beispielsweise wenn er Missstände in deutschen Afrikakolonien benannte. Zu Beginn des 1. Weltkriegs stimmte er in den Chor der Kriegsbefürworter ein, kam jedoch im Jahre 1916 zur Überzeugung, dass nur ein Verständigungsfrieden dem Deutschen Reich und den europäischen Staaten eine gerechte Zukunft werde sichern können.

Riesenandrang vor Erzbergers Geburtshaus bei der Gedenkveranstaltung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold(Bildnachweis: Stadtarchiv Münsingen; Einfärbung.: HdG BW/Hemberger).
Riesenandrang vor Erzbergers Geburtshaus bei der Gedenkveranstaltung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (Bildnachweis: Stadtarchiv Münsingen; Einfärbung.: HdG BW/Hemberger).

Am 11. November 1918 setzte Erzberger im Eisenbahnwaggon bei Compiègne als Leiter der deutschen Delegation seine Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen, und damit quasi unter sein eigenes Todesurteil. „Es gab kein Wort des Hasses und der Niedertracht, das ihm hierfür und später für seine Zustimmung zum Friedensvertrags erspart geblieben wäre“, erinnerte der Reutlinger Gemeinderat und Reichsbanner-Mitglied Hans Freytag in seiner Rede an Erzbergers Geburtshaus. Deutsch-völkische und rechtsradikale Gruppen schossen sich  auf den Republikaner ein, der ihnen als Vaterlandsverräter und Novemberverbrecher galt. Aus Worten wurden Patronen: In Bad Griesbach im Schwarzwald wurde Erzberger am 26. August 1921 ermordet, die rechtsextremistischen Täter konnten fliehen.

Die alte Gedenktafel an Matthias Erzbergers Geburtshaus in Buttenhausen (Aufnahme nach 1927).
Die alte Gedenktafel an Matthias Erzbergers Geburtshaus in Buttenhausen (Aufnahme nach 1927; Bildnachweis: HdGBW)

Mit der Enthüllung einer Gedenkplakette an Erzbergers Geburtshaus in Buttenhausen schuf der Reutlinger Ortsverband des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (RB) mehr als einen einfachen Gedenkort. Das im Jahre 1924 gegründete Reichsbanner vereinte Mitglieder der SPD, der liberalen Deutsch-Demokratischen Partei und der katholischen Zentrums-partei zum gemeinsamen Schutz der Weimarer Republik und ihrer parlamentarischen Demokratie. Durch Gedenkfeiern, Fahnenappelle, Reden und einer demonstrativ gezeigten Geschlossenheit sollte der erstarkenden nationalsozialistischen Bewegung ein starkes Bollwerk entgegengesetzt werden. Erzberger würde heute in den Reihen des RB stehen, gab sich Freytag überzeugt und ein Vertreter der Zentrumspartei, Ortsgruppe Reutlingen, forderte neben dem Denkmal aus Erz, ein Denkmal in den Herzen aller. Die eiserne Gedenktafel wurde 1933 unter der Herrschaft Adolf Hitlers, der Erzberger bereits 1920 als „größten Lump“ verunglimpft hatte, abgehängt und in neuer Form erst 1971 wieder aufgehängt.


Zum Weiterlesen und -forschen:

  • Erinnerungsstätte Matthias Erzberger: Homepage.
  • Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.):  Matthias Erzberger. Ein Wegbereiter der deutschen Demokratie. Buch zur Dauerausstellung der Erinnerungsstätte Matthias Erzberger in Münsingen-Buttenhausen, Stuttgart 2011.
  • Elena Müller: Demokratisches Gedenken: Die Erinnerung an Matthias Erzberger in Reutlingen, in: Reutlinger Geschichtsblätter 2018, Neue Folge Nr. 57, Reutlingen 2019, S. 175-199.
Datenschutz © 2018 | Haus der Geschichte Baden-Württemberg